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Das Isaac-Quartett

Das Isaac-Quartett

Titel: Das Isaac-Quartett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jerome Charyn
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übergangslos von der Kindheit über die Ehe ins Gefängnis geschlittert.
    Isaac musste seinem Vater lassen, dass er eine gute Technik hatte. Joel schnappte sich die Amerikaner, wenn sie aus dem Aufzug traten. Mit gekonnten Gesten umgarnte er ein Paar. Während sie sich mit Kamera, Belichtungsmesser und Reiseführer in Position stellten, tauchte Joel seinen dicken Pinsel in einen Farbtopf und malte in weniger als einer Minute die Umrisse und auffallende Merkmale, ehe die Leute dazu kamen zu protestieren. Für seine Arbeit stellte er zwanzig Francs in Rechnung. Ähnlichkeit spielte keine Rolle. Zu viel Genauigkeit hätte die Paare beleidigt. Joels Geschwindigkeit im Umgang mit dem Pinsel flößte ihnen Ehrfurcht ein. Isaac räusperte sich in das Revers seines Regenmantels. Er war nicht als Spion in Paris.
    Joel war ausgeschlafen. Er erkannte das Entscheidendste: Dies musste einer seiner Jungen sein. »Leo?«, fragte er.
    »Nein, Papa. Schau noch mal hin.«
    »Isaac, du musst das Gesicht von deinem Bruder geerbt haben. Ich bin nicht enttäuscht, dass du es bist. Du bist mein Ältester. Ein halbes Jahrhundert ist vergangen, und du kannst immer noch ›Papa‹ zu mir sagen.«
    »Übertreib nicht, Papa. Vor fünfzig Jahren war ich noch nicht auf der Welt.«
    Joel hatte Rouge aufgelegt. Er trug einen Schal um den Hals und einen flaschengrünen Malerkittel, der ihn in jeder denkbaren Umgebung als Porträtmaler ausgewiesen hätte. Im Iroquois war Joel in Uniform.
    »Ich habe dich erwartet, Isaac. Dein Besuch überrascht mich nicht. Bist du gekommen, um deinen Papa umzubringen?«
    Isaacs Kiefer verzerrte sich. Nur ein spärliches Lächeln blieb. »Du kannst mich abtasten, Papa. Ich bin ›clean‹. Nach Paris kann man keine Waffen schmuggeln.«
    »Du könntest alles schmuggeln, Isaac. Glaub bloß nicht, ich wüsste nichts von deiner Karriere. Vielleicht bin ich ein Stück Scheiße, aber ich verfolge, was meine Jungen tun. Deine Tochter heißt Marilyn. Sie ist eine irische Schönheit und verschleißt haufenweise Ehemänner. Bist du schockiert, dass ich das alles weiß? Ein Junge aus der Seventh Avenue, der früher für mich gearbeitet hat, kommt einmal im Jahr nach Paris. Er kauft international ein und hat Millionen in der Tasche. Bei einem Glas Wein erzählt er mir von meiner Familie. Was macht Leo?«
    »Leo ist im Gefängnis«, fauchte Isaac durch die Zähne.
    Das Rouge unter Joels Augen sprang hervor. Er zog sich in seinen Malerkittel zurück. Über der Staffelei ragte seine blau angelaufene Kopfhaut. Er musterte die Aufzüge im Hinblick auf amerikanische Beute. »Ich vernachlässige mein Geschäft, Isaac. Das wird ein magerer Nachmittag.« Er nannte eine Adresse in der Rue Vieille-du-Temple. »Das ist im Marais, oberhalb der Rivoli. Frag einfach nach den Juden. Du findest es schon, Isaac. Allerdings wirst du eine Weile brauchen. Du kannst mich umbringen, wenn du ankommst.«
    Isaac ging, damit sein Vater sich ranhalten konnte. Auf der Rue Hamelin holte er einen gigantischen Stadtplan von Paris heraus und suchte nach dem richtigen Planquadrat. Mit der Logik eines Polizisten legte er sich einen Spaziergang von zwei Stunden zurecht. Isaac hielt sich oberhalb der Flussbiegung nach Osten und landete auf der Place des Etats-Unis.
    Zwei Männer in glänzenden braunen Mänteln lungerten in Isaacs Nähe herum. Sie wollten Tauben füttern. Isaac beobachtete das Spiel ihrer Hände. Die Suche nach den Vögeln erschien ihm als Vorwand – Isaac sah kein bisschen Taubenscheiße auf der Place des Etats-Unis. In den Lackmänteln steckten ein Taschendieb und sein Komplize. Mit kühlem Kopf taxierte Isaac das Team. Südamerikaner können es nicht sein. Die Guzmanns – eine Sippe von Taschendieben aus Peru – würden niemals Lackmäntel tragen. Die kommen aus Algerien. Oder Sizilien. Verhungernde Kinder mit den zarten, schönen Fingern eines Mädchens.
    Das Team trennte sich, um Isaac einzukreisen. Der Statist, ein Junge mit vernarbter Nase, stieß Isaac gegen seinen Kumpel. Der Junge hörte einen entsetzlichen Schrei. Die Hand des Taschendiebs war in Isaacs Regenmantel gefangen. Isaac zermalmte die mädchenhaften Finger mit seiner Faust. Er zwang den Taschendieb in die Knie.
    Dabei vergaß er nicht den anderen. Der Helfer war der Üblere, das wusste Isaac. Er hatte seine Klinge herausgezogen, ein rührendes Taschenmesser ohne Griff, mit dem er Isaac aufspießen wollte. Doch er konnte dem Chef kein Blut abzapfen. Isaac schlug einmal zu,

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