Das Isaac-Quartett
nicht damit gerechnet, dass sein Vater nach fünfundzwanzig Jahren den Lazarus spielte. Joel Sidel wurde zu den Vermissten und Toten gezählt. Isaac hatte sich bemüht, den Namen seines Vaters zu vergessen. Jetzt spielte er mit dem Gedanken, Joel zu ermorden oder ihm bei einer Gegenüberstellung in der Avenue Kléber den Kopf einzubeulen. Isaac schmiedete Ränke. Er lud sich zu einer Konferenz über Kriminalität ein, die für Waffenschmiede und Provinzpolizisten abgehalten wurde. Jetzt war er in Paris, um zu töten, zu zermalmen und Schulden einzutreiben.
Als Isaac auf dem Weg zur Konferenz die Seine überquerte, war er darauf vorbereitet, auf Boote zu spucken, die schrillen Papageien der alten Frauen mit staubigen Kleidern zu überhören und die Bouquinisten und Leierkastenmänner zu meiden. Doch gegen die Ile de la Cité konnte er sich nicht wirklich wappnen. Der steinigen Insel, eine mittelalterliche Stadt, die sich aus dem Wasser erhob, konnte Isaac sich nicht entziehen. Er starrte auf die grasbewachsene Stelle der Insel, ein Fleckchen Grün vor den grauen Wänden der Herrschaftshäuser und den Spitzen von Notre-Dame. Stein, der den Schleier eines nebelverhangenen Flusses durchbohrte, war Isaac unerträglich. Nichts in New York würde ihm diese Vision nehmen können. Die Schornsteine von Welfare Islands waren mit diesen feuchten Mauern verglichen belanglos. Mit finsterem Blick erschien er bei der Konferenz.
Einer der Spezialisten aus Brügge trieb Isaac nach einer kurzen Ansprache über die Pariser Bankräuber in die Enge. Der Flame mit dem selbstbewussten Englisch schüttelte pessimistisch den Kopf. Isaac verstand ihn nicht. »Inspektor Sidel, wie ist die Lage in Amerika? Gibt es Amateurverbrecher? Widerliche kleine Unterweltler, die man unmöglich aufspüren kann? In Paris wimmelt es nur so davon. Ich spreche nicht von dem Abschaum der afrikanischen Viertel. Der stellt für uns keine Bedrohung dar. Ich rede von den jugendlichen Wüstlingen aus den Sozialbaublocks bei Clignancourt und aus anderen kleinen Löchern am Rande von Paris – Ungeziefer mit Pistolen in den Händen. Dieses Ungeziefer taucht auf den Champs-Elysées auf, knackt eine Bank und krabbelt wieder in eines seiner Löcher. Was kann man dagegen unternehmen? Keine Freaks, keine organisierte Bande, keine wirkliche Unterwelt. Nichts als Kakerlaken, haufenweise einzelne Kakerlaken.«
»Das haben wir in den Vereinigten Staaten auch, Monsieur, aber nicht in diesem Umfang«, sagte Isaac. In Gedanken beschäftigte er sich schon mit dem Maler Joel, seinem abtrünnigen Vater in dem Hotel an der Avenue Kléber.
»Was können Sie unseren Freunden in Paris anraten, Inspektor Sidel?«
»Gehen Sie hin. In die Sozialbunker.«
»Mit einem Heer?«
»Nein, mit Spionen.«
»Ah«, sagte der Flame und erwärmte sich für Isaac. »Sie meinen, es ist eine Frage der Infiltration. Solange man die Schaben nicht ausrotten kann, schläft man in ihren Betten. Bleiben Sie in Paris, Inspektor. Sie haben eine Zukunft bei der Sûreté.«
Isaac verließ die Konferenz vor dem Mittagessen. Er nahm seinen Spaziergang am Quai Voltaire wieder auf und ging auf den Invalidendom zu. Alles war in Ordnung, solange er sich den schwitzenden Steinen der Ile de la Cité fernhielt. New York holte ihn ein; die Mansardendächer der Commerce Street, die abbröckelnden Wände der Cherry Lane, die Schlachthöfe in Gansevoort, die mit unglaublichen Stahlrolläden verrammelten Fabriken der Lafayette und der Mulberry. Paris war ein Klacks.
Die Boulevards oberhalb des Trocadero waren Isaac vertrauteres Terrain. Jetzt musste er sich nicht mehr mit gewundenen Straßen auseinandersetzen. Er konnte die Augen schließen und über den kleinen Bäckereien und Schmuckgeschäften der Rue Hamelin die Madison Avenue vergessen. The Iroquois an der Avenue Kléber erstaunte ihn nicht: Dieses Hotel musste für reiche Amerikaner gebaut worden sein. Von einem großen Fresko auf der Stirnwand sprudelten alle Nebenflüsse des Ohio über Isaac Ohren. Im Foyer des Iroquois musste er einen enormen Eiffelturm umrunden. Isaac gestattete sich kein Lächeln.
Sein Vater war im Nachteil. Joel Sidel war der einzige Maler im Foyer. Isaac konnte kein Mitgefühl für einen Siebzigjährigen an einer Staffelei aufbringen. Das war der Mann, der seine Mutter in den Wahnsinn getrieben und seinen Bruder zu einem Schwächling gemacht hatte. Sophie hatte sich auf einen Trödelladen gestürzt, Isaac war Flic geworden, und Leo war
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