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Das Isaac-Quartett

Das Isaac-Quartett

Titel: Das Isaac-Quartett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jerome Charyn
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konnten. Rupert wollte nicht. Er führte sie in ein leerstehendes Gebäude an der Norfolk Street. Im Unrat zogen sie sich aus und Esthers Knie sanken durch die Dielen. Der Junge nahm sie leidenschaftlich. Er berührte Esther mit genüsslich heimtückischen Schuldgefühlen und bald aßen beide den Staub vom Körper des anderen. Esther war ein Mädchen aus Brooklyn. Die Norfolk Street blieb ein Geheimnis für sie. Dennoch konnte sie ein Gebäude ohne Treppenhaus lieben, einfallende Wände und Fenster, die mit Blech vernagelt waren. Um Ruperts willen gab sie die Palästinafrage auf. Sie betrog die JDL mit ihm und blieb in der Nähe der Norfolk Street, um Rupert eine bleibende »Mama« zu werden.
     
    Rupert stahl sich aus dem Haus seines Vaters; die Konservendosen in seinen Taschen machten ihn zum Krüppel. Er versuchte, diesen Journalisten, Tony Brill, abzuschütteln. Er irrte um Straßenecken; vom Druck der Konserven, die ihm von den Hüften glitten, schwollen seine Knöchel an. Esther musste von Gebäude zu Gebäude umsiedeln, um sich vor neugierigen Leuten und den Bullen der puerto-ricanischen und jüdischen East Side zu verstecken. Rupert fand sie in der Suffolk Street. Das Mädchen war wählerisch; sie hielt sich in einem Wohnhaus mit Wasserspeichern unter dem Dach verborgen, Regenrinnen mit abgebrochenen Nasen. Er stieg durch ein Fenster im Erdgeschoss ein, packte seine Taschen und hievte sie über das Fensterbrett. Esthers Aufstieg konnte er durch die Zeichnungen über dem Treppenabsatz verfolgen. Sie hatte mit bunter Kreide Gesichter neben die Treppenabsätze gemalt, Gesichter mit angeschwollener Stirn und Schaum vor dem Mund: Männer und Frauen, die die Last ihrer eigenen schweren Gehirne zu Boden zog. Im vierten Stock hörten die Zeichnungen abrupt auf. Höher brauchte Rupert nicht zu schauen. »Esther«, rief er. »Ich bin’s.«
    Sie hockte auf dem Boden und trug eine Decke wie eine Brooklyn Squaw – Esther lehnte Straßenbekleidung ab. Auf dem Esbitkocher, den Rupert ihr gegeben hatte, kochte sie etwas in einem Topf. Der Gestank, der aus dem Topf aufstieg, setzte sich unter Ruperts Zunge ab; er lief auf und ab und biss sich in die Jacke, um seine eigene vergiftete Spucke nicht zu schlucken. »Was zum Teufel machst du da?«, rief er mit Esthers Dämpfen in den Augen.
    »Essen«, sagte sie. »Essen für Isaac.«
    »Isaac ist kein Schmock. Er trinkt keine Scheiße aus Dosen.«
    »Dann füttere ich ihn eben. Ich kann Isaac jederzeit vollstopfen.«
    »Wie?«, fragte Rupert. »Willst du ihm präparierten Meerrettich zuschicken?«
    »Nein. Ich schmuggle den Topf in sein lausiges Präsidium.«
    »Isaac hat eine Festung an der Centre Street, Esther. Weißt du, wie viele Bewaffnete auf jeder Etage stehen? In jeder Täfelung schlafen Detectives. Ohne Begleiter kannst du nicht zum Pinkeln gehen.«
    »Na und?«, sagte sie. »Ich will Isaacs Schwanz nicht halten.«
    »Hör zu, Esther. Du hast seit vier Tagen nichts mehr gegessen.« Er klopfte auf die Ausbuchtungen seiner Taschen. »Ich habe saure Gurken von meinem Vater. Ich habe Kohlrouladen. Ich habe Weinblätter.«
    »Ich habe keinen Hunger.«
    Esther hatte sich Rupert in der letzten Woche kühl gezeigt; sie gab ihm die Schuld für den Verlust Stanley Chins. Sie waren alle nach Corona gezogen, weil ganz Manhattan von Bullen und Gorillas aus der Mulberry Street überflutet war. Sie waren so schlau gewesen, schneller zu laufen als die Gorillas, die außerhalb von Little Italy verloren wirkten und die nicht zwischen einer Skimaske – Esthers Beitrag zur Bande –, einer Wollmütze und einem Winterschal unterscheiden konnten; diese Gorillas mussten aus einem wärmeren Klima stammen, aus Zonen, in denen ein normaler Mensch nicht darauf gekommen wäre, sich einen Lumpen auf den Kopf zu setzen. Die Straßenpolizei war für die Lollipops noch unberechenbarer. Bullen gab es in gescheiter und in dummer Ausführung, doch selbst ein doofer Bulle konnte Isaac mit seinem tragbaren Sender verständigen.
    Corona war Ruperts Idee gewesen; er hatte geplant, Isaac von einer völlig neuen Umgebung aus heimzusuchen. Die Lollipops wollten Lebensmittelgeschäfte überfallen und ihren Opfern Isaacs Namen zuzischen. Doch eine Bande von Chinesenbabys war ihnen gefolgt, alte Landsleute und Mitstreiter Stanley Chins aus seinen früheren Zeiten als Rausschmeißer für die Händler und die republikanischen Politiker der Pell Street. Die Bande war auf Rache aus; Stanley hatte seinen einstigen

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