Das Isaac-Quartett
in die Norfolk Street, die Essex, die Delancey, die Grand, hatte Esther die Verhältnisse dieses Gebiets durchschaut. »Wer ist hier der Obermacker? Sag mir, wie euer Rabbi heißt.«
Der Junge konnte ihr keine Antwort geben. »Wie meinst du das, Esther?«
»Diese Straßen werden schon seit Langem von jemandem geschröpft. Es ist zu still hier. Keine Spur von Anarchie. Wo sitzt der Boss?«
Rupert dachte kurz nach. Dann murmelte er: »Im Polizeipräsidium.« Und er erzählte ihr von Isaac und davon, wie Isaac die Gangster im Griff hatte, die Polizisten, die Ladeninhaber, die Seward Park High School, Ida Stutz, Mordecai, Philip und auch Rupert. »Er stinkt zum Himmel«, sagte Rupert. »Aber niemand ist bereit, das laut auszusprechen.«
Esther verstand. Isaac war der Moses von Clinton und Delancey. Hatten ihr die idiotischen Priester in ihrer Schule nicht eiskalt Geschichten über die Heiligkeit der Erzväter vorgesetzt? Die Juden hatten mehr Väter, als Esther ertragen konnte. Eine Armee von Vätern mit einem einzigen Wort unter der Zunge: Gehorche. Wenn sie heiraten würde, sagten die Priester, wäre ihr Gatte dann nicht wie ein Vater für sie? Ein Vater, der Esthers Geschlechtlichkeit genießen konnte. Für ihren Vater-Gemahl würde sie sich spreizen müssen, sich für ihn kahl scheren lassen – Haare auf der weiblichen Kopfhaut waren ein Zeichen der Erniedrigung und der Wollust –, ihn bekochen, für ihn ficken, seine Hemden flicken, die Pissflecken aus seiner Unterwäsche schrubben, sich ihren Leib mit männlichen Nachkommen stopfen lassen.
Eine Gemahlin stand kaum höher als jedes beliebige Tier auf der Weide. Sie wurde angewiesen, ihre Augen zu schließen und zu grunzen, wenn ihr Gatte sie bestieg – Beischlaf in allen anderen Varianten oder Stellungen war unanständig und pervers. Er, der Herr des Hauses, musste beim Vögeln an die Thora denken, während seine Gattin unter dem Aufprall der Knie ihres Herrn und Meisters litt und um ein männliches Kind betete. Man musste Gott für die Menstruation danken, dachte Esther. Eine Frau mit Blut in den Schlüpfern war ein unreiner Besitz. Ihr Herr konnte nicht aus ihrem Kelch trinken und auch keinen Zeigefinger auf ihr weiden lassen, wenn das erste Tröpfeln eingesetzt hatte. Dann hatte sie ihre Nächte und Tage für sich. Sie konnte nicht eher wieder rein werden, als sie das Wachs aus ihren Ohren nahm und ihre rosa Kopfhaut in ein Becken schleimigen Wassers tauchte. Dies waren die Freuden einer Jeschiwe-Gattin.
Esther hatte eine Lösung gefunden. Sie würde Isaacs Braut werden. Es sollte keine Vernunftehe werden, von reichen Onkeln arrangiert, mit fetter Mitgift und beträchtlicher Aussteuer. Esther würde den traditionellen Ladino-Segen unter den Tisch fallen lassen. Bei ihrer Hochzeit würde es keine Brautschleier geben, keine juwelenbesetzten Baldachine, die noch vor der Einnahme Sevillas durch die Mauren gemacht worden waren. Zwischen Esther und Isaac würde nichts anderes stehen als Stolz, Bosheit und geiles Verlangen. Braut und Bräutigam würden einander in ihrer Hochzeitsnacht verheeren, mit der Energie des absoluten Hasses huren. Bei einem ihrer ersten Orgasmen würde sie Isaac die Nase ausreißen. Mit jedem Aufklatschen seines harten Polizistenbauches würde er ihre Nieren zermalmen und mit seinem dampfenden Samen ihre Lenden verbrühen. Sie würde all diesen empfindlichen Schleim aus seinen Augen saugen. Isaac würde mit seinen Fingern über den Höhlen in seinem Gesicht wüten, das die Hiebe von Esthers kräftiger Zunge verunstaltet hatten. Die Schlächterei würde bis zum Morgen andauern; dann würden die Überreste von Esther und Isaac in dem zerwühlten lavendelblauen Brautbett vorgefunden: zwei gut erhaltene Schienbeine und ein purpurner Klumpen Blut.
Esther trug ihre Visionen auf die Straße. Ein paar Arbeiter, die Löcher in den Bürgersteig gruben, sahen zufällig auf; ein Mädchen ging vorbei, dem die Titten aus dem Mantel lugten. Sie ließen ihre Schaufeln stehen und grölten Esther nach. »Liebling, Schätzchen, Süße, ohne Unterhemd wirst du dich erkälten. Frag uns, wir halten den Wind von dir ab.« Sie ging um die Löcher herum und weigerte sich, ihre Knöpfe zu richten. Lieferanten und Rentner aus der Grand Street glotzten in die offene Matrosenjacke und spürten ein Stechen zwischen den Augen: Der Anblick eines Nippels, der sich durchs Winterlicht bewegte, war schmerzlich. »Cuño«, sagten die Jungen. Die alten Männer zuckten
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