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Das Isaac-Quartett

Das Isaac-Quartett

Titel: Das Isaac-Quartett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jerome Charyn
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in seinen Körper fort. War er verrückt? Oder hatte sich der Junge bewegt? Eine Hand ragte aus einem Schneehaufen in die Luft. Rupert war nicht tot.
16
    Die Frau mit dem Koffer murmelte im Korridor. Ärzte und Krankenschwestern sprangen ihr aus dem Weg. »Blue Eyes«, sagte sie. Marilyn war im Bellevue eingezogen. Sie stieg hinauf bis zur Häftlingsstation und kreischte die Metalltür an: »Manfred, komm raus.« Der Wächter hielt sie für wahnsinnig.
    »Das ist Polizeisache hier, junge Frau. Da können Sie nicht rein.«
    »Ich bin die Polizei«, sagte Marilyn.
    Der Wächter brummelte etwas über Irre vor sich hin, die frei herumliefen. Er hieß Fred. »Ja, Sie sind von den Bullen, ich auch, und all die Bekloppten in dieser Abteilung tragen Dienstabzeichen an ihren Schlafanzügen.«
    »Mein Vater ist Kommissar«, sagte sie. »Jetzt machen Sie schon auf.«
    »Tun Sie mir einen Gefallen, Fräulein. Verschwinden Sie. Wissen Sie, wie wir Quälgeister loswerden? Wir stopfen sie in die Wäscheschleuder.«
    »Mistkerl«, sagte Marilyn mit der Stimme ihres Vaters. »Haben Sie je von Isaac dem Reinen gehört?«
    Der Wächter zweifelte langsam an sich selbst. »Was ist mit Isaac?«
    »Ich bin seine einzige Tochter. Haben Sie verstanden? Bringen Sie mir Blue Eyes.«
    »Blue Eyes? Warum haben Sie denn nicht gleich gesagt, dass Sie zu dem wollen?« Der Wächter meldete Marilyn über das Haustelefon an. Marilyn hörte das Klicken eines elektrischen Schlosses, und Blue Eyes kam aus der Tür. Der Wächter starrte die beiden an; sie sahen beide gleich beschissen aus: laufende Nasen und schwarze Ringe unter flackernden Augen. »Turteltauben«, argwöhnte der Wächter. »Verdammte Turteltauben.«
    Coen nahm Marilyns Koffer und sprach mit dem Wächter. »Kümmer du dich um den Laden, Freddy. Ich bin gleich wieder da.« Dann ging er mit Marilyn in einen Abstellraum hinter dem Aufzugschacht. Zu dem Koffer äußerte er sich mit keinem Wort.
    »Wenn ich hier mit dir erwischt werde, erwürgt man mich.«
    »Wie sollen sie das bewerkstelligen? Du bist der Mann mit dem Revolver … Manfred, komm mit mir.«
    »Ich soll Stanley Chin bewachen. Isaac ruft jede halbe Stunde an. Er glaubt immer noch, dass Cowboy den Jungen schnappen will.«
    »Bist du taub, Manfred? Ich gehe weg, und ich will, dass du mitkommst.«
    »Ich bin ein Stadtkind, Marilyn«, sagte Coen mit schwerer Zunge. »Wochenenden in New Rochelle würden mich schaffen.«
    »Herr im Himmel«, sagte sie, »stell dich nicht so blöd. Unten liegt Rupert mit gebrochenem Rücken. Er hat sich wegen Isaac beinah umgebracht.«
    »Was hat er in deinem Fenster zu suchen? Ohne vernünftige Erklärung klettert man bei einem Schneesturm keine Feuertreppen hoch. Er hatte es auf dich abgesehen.«
    »Natürlich hatte er es auf mich abgesehen. Mit einem Suppenlöffel.«
    »Marilyn, er ist nicht zu dir gekommen, um hartgekochte Eier aufzuschlagen. Der nicht. Man kann jemandem mit weniger als einem Löffel die Kehle aufreißen.« Coen berührte die Metallkanten ihres Koffers. »Wohin gehst du?«
    »So weit ich komme. Vielleicht nach Seattle. Vancouver. Muss ich dich bitten, Manfred? Er bringt dich dazu, jemanden zu töten, mein Vater, dieser Schuft. Oder er lässt dich töten. Für ihn ist das alles eins.«
    Coen zuckte die Schultern. Er hatte eine Schramme in der Backe. »Ich bin nicht so scharf darauf, auszureißen. Was soll ich in Seattle? Ich würde die Schaben vermissen. Ohne die Straßen wäre ich ganz wirr im Kopf.«
    Sie hätte ihn an der Nase packen können und ihn aus dem Bellevue entführen, aber sie spürte die Sinnlosigkeit einer solchen Handlung. Er konnte die Festung ihres Vaters nicht im Stich lassen. Er war der blauäugige Engel aus Isaacs Trupp. Sie stellte sich auf die Zehen, um ihn zu küssen, streichelte die blonden Haare auf seinem Hals, während ihre Zunge in seinem Mund spazieren ging. Sie gab ihm keine Gelegenheit, den Kuss zu erwidern oder sie in die Kammer zu drängen. Sie nahm ihm ihren Koffer fort und rannte den Korridor entlang. Sie war kein Mädchen, das langsame Abschiede duldete.
    Coen horchte auf das Klappern ihrer Schuhe. Er fürchtete sich, ihr nachzusehen. Ein hüpfender Koffer brachte ihn um. Er liebte dieses magere Mädchen. Doch der Schneesturm hatte aufgehört und sie konnten sich nicht mehr in Isaacs Bett verkriechen oder nach Seattle ziehen. Wie sollte er mit Isaacs Mädchen an der Hand Isaac davonlaufen?
     
    Der Chef hatte sich vertraulich mit seinen Spionen

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