Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Isaac-Quartett

Das Isaac-Quartett

Titel: Das Isaac-Quartett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jerome Charyn
Vom Netzwerk:
Coen hatte sie nicht mit allzu vielen Waisen geschlafen. Sie hätte nicht geglaubt, dass ein Mann seinen toten Vater und seine tote Mutter in den Furchen seines Kinns weiterleben lassen konnte. Er fühlte sich nach Tod an. Er bewegte sich langsam und mitreißend schön. Er sabberte nicht. Er knabberte nicht mit obszönen Sauglauten an ihrem Ohr wie ihr zweiter Mann und ihre früheren Beaus. Mit dem Rhythmus eines Schlafwandlers bewegte er sich in ihr, mit rauschhaft besessener Hingabe, die sie in Isaacs fadenscheinige Matratze drückte und sie aufschreien ließ.
    Sie fühlte sich wie Isaac, der allabendlich einen Vorgeschmack des Himmels erlebte, indem er seine Nase in ein Honigglas steckte. So gierig wurde sie bei Coen. Sie wollte ihn spüren, bis ihre Orgasmen sich in ihre Fingerspitzen und ihre Augen fortsetzten. »Mutter Gottes«, sagte sie von alten Zeiten verfolgt; damals hatte sie in der Kirche das Verbrechen gebeichtet, ihren eigenen Busen berührt zu haben. »Lass mich kommen, Manfred, lass mich kommen.«
    In größeren Intervallen kletterte sie von der Matratze, um für Blue Eyes und sich eine Mahlzeit zu richten; sie riss das Herz aus ihres Vaters Salat, warf Strünke auf einen Teller, machte dazu eine Tunke aus Knoblauch, Zwiebeln und Hüttenkäse. Marilyn bedauerte die Eintönigkeit dieser Festmahle. Der Schneesturm verhinderte Abwechslung auf dem Speisezettel. Zur Wahl standen Hüttenkäse oder Hungertod, denn der Kühlschrank war von Ida aufgefüllt worden. In einer Langhalsflasche war noch ein Rest Rotwein, an dem sie verständig nippten und den sie für den Fall, dass ein Besucher kam, nicht vollständig austranken. Isaac konnte durchs Fenster steigen; er hatte eine Leidenschaft für Feuerleitern und hasste das Treppensteigen. Sollte ihr Vater doch hineinschneien! Marilyn würde nicht rot werden. Sie war alt genug, sich mit einem Mann erwischen zu lassen. Isaac musste ihre Titten ein oder zwei Mal während der kurzen Intermezzi mit ihren Ehemännern gesehen haben. Er hatte sich nicht beschwert. Marilyn würde ihn auf die Straße setzen, wenn er Ehemann Coen anpöbelte.
    Sie entschied sich, nicht mit dem Wein zu sparen. Sie goss ihn über Blue Eyes, in die Höhlungen seines Körpers, Schlüsselbein, Ellbogen, Kniekehlen, den Streifen blonder Haare, der seine Brust in zwei Hälften teilte, die Furchen um seine Eier. Sie hatte die Absicht, Coen zu verschlingen, den Wein von ihrem neuen Ehemann zu schlürfen, ihn mit ihrer Zunge einzufangen. Sie ließ sich auf seine Schulter fallen, kostete ihn mit ihrer Stirn und ihrem Kiefer; Coen schloss die Augen, stöhnte wie ein Toter, aus seinen Lungen drang in tiefen, gleichmäßigen Böen Wind, und Marilyn verfluchte alle Eheringe, die sie je getragen hatte, die Brautschleier, die bestickten Laken der Flitterwochenhotels.
     
    Ruperts verletztes Auge wuchs langsam zu. Er musste Dinge auf unnatürliche Weise anvisieren, während er seine Backe dem Sturm aussetzte und sich mit den Knien einen Pfad grub. Er rammte sich vorwärts, ertrug den Windbrand auf seinen Lippen und versuchte, sich Isaacs verhängnisvolles Schicksal auszumalen. Als er sich der Delancey näherte, war er nicht mehr so entschlossen. Der Verkehr lag still. Er hatte einen ganzen Boulevard für sich. Wenn er das Bedürfnis danach gehabt hätte, hätte er von einem Autodach zum anderen hüpfen können. Er war nicht dazu aufgelegt, eine verbeulte Metallbrücke zu fabrizieren.
    Der Sturm hatte die Fensterscheibe eines Hosenladens an der Nordseite der Delancey eingedrückt. Er sah einen Beutezug von Männern und Jungen in schmutzigen, zerfledderten Mänteln den Laden plündern; sie trugen große Bündel Hosen durch das gezackte Loch in der Fensterscheibe. Einer der Beutegänger, ein Portorriqueño mit Narben auf der Oberlippe, prallte mit Rupert zusammen und sah entgeistert seine Uniformjacke an; er untersuchte Ruperts Turnschuhe, die beschädigte Augenbraue, Ruperts haarloses Gesicht näher und lächelte. » Yo no sé, Mann. Es gibt genug für alle. Greif zu.«
    Rupert interessierte sich nicht für Hosen, aber die Diebe wollten ihn nicht weitergehen lassen. Seine Uniform war zu wertvoll; er sollte Schmiere stehen. Mürrisch stand er vor dem Fenster. Er missbilligte Anarchie um des Profits willen. Die Hosen würden nicht die Beine der Bande selbst wärmen; sie würden auf Schwarzmärkten verkauft werden oder die Räuber würden die Ware in den Wohnvierteln verhökern, ihre eigenen Arme als

Weitere Kostenlose Bücher