Das Isaac-Quartett
nicht belächeln. Seine eigene magere Tochter versuchte, ihm zu entfliehen, in einem Hörsaal Schutz zu suchen. Erst als er sie an den Haaren zerrte, wurden ihre Knie langsamer. »Du verrücktes Weib, glaubst du, da gewährt man dir Asyl? Du lieferst dich der Gnade eines Haufens Schwachsinniger aus, die sich den ganzen Tag Leichen angeschaut haben. Die rollen dich mit einem Zuckerwürfel im Mund ins Leichenschauhaus, diese Abartigen.«
Ihre Augen traten aus den Schädelknochen hervor, und Isaac ließ sie los. Sie hatte diesen wahnsinnigen Blick ihrer Mutter, der sich durch nichts ablenken ließ; Kathleen war der einzige Mensch auf Erden, vor dem er sich fürchtete. Mutter und Tochter, sie wussten, wie man einem Mann das Fleisch unter dem Herzen einschnürt. »Baby«, sagte er, »hast du was?«
Sein Schnurren blieb wirkungslos. Sie zitterte unter ihrem Mantel. Angeschwollene Adern bildeten sich auf ihrer Stirn, lange, dicke Striemen, die das Gehirn eines Mädchens zerreißen konnten. Isaac gab ihr einen Schubs. »Du bist frei«, sagte er. Sie rührte sich nicht. Mit zwei Fingern strich er beruhigend über die Schwellungen in ihrem Gesicht. Sie trottete auf die Second Avenue zu und verlor auf dem Weg eine Socke. Isaac bemerkte das Sonderbare an dieser Socke. Magenta war nicht Marilyns Farbe. Die Socke gehörte Coen.
Isaac ging zum Krankenhaus rüber. Er ging unter dem gewölbten Glasdach, das lagenweise Eis abschüttelte. Er betrat das Bellevue mit zwei nassen Ohren. Isaac konnte es sich nicht leisten, das Mädchen am Empfang zu schikanieren. Polizeichefs wurden ohne Besuchserlaubnis nicht in die Nähe von Ruperts Bett gelassen. Rupert stand unter der Obhut des Jugendgerichts von Manhattan; Isaac musste seine Finger von einem Fünfzehnjährigen lassen. Er murmelte: »Rupert Weil.«
Das Mädchen hinter dem Schreibtisch sagte: »Tut mir leid. Sie können nicht zu ihm. Sein Fach mit den Passierscheinen ist leer. Er hat Besucher in seinem Zimmer.«
Isaac zog sein Abzeichen hervor. »Fräulein, ich bin ein Freund seines Vaters. Ein enger Freund. Deputy Chief Inspector Sidel. Glauben Sie, ich würde dem Jungen etwas antun? Fragen Sie Ihre Vorgesetzten. Ich komme zweimal wöchentlich ins Bellevue.«
Das Mädchen starrte die blaugoldenen Blätter an Isaacs Abzeichen an. Sie kritzelte ihm einen Passierschein aus. »Fünfzehn Minuten«, sagte sie. »Mehr gebe ich Ihnen nicht.«
Isaac schleppte sich nach oben. Er zeigte seinen Passierschein einem armseligen Sheriff vom Jugendgericht, der Rupert bewachte. An ihm wäre jedes Fliegengewicht vorbeigekommen. Es war ein Glück für das Jugendgericht, dass Isaac Stanley Chin hatte, sonst hätten das Krankenhaus Rupert und der Sheriff seine Hose verloren.
Isaac konnte Rupert von der Tür aus sehen. Die Halunken hatten ihn mumifiziert; er war an ein Brett gekleistert, mit Rollen an den Füßen. Der einzige Teil von ihm, der nicht bandagiert war, war ein unregelmäßiges Oval von den Augenbrauen bis zu dem Spalt unter seinen Lippen; auch die Ohren waren fast freigelassen worden. Seine Backen hatten ein Krankenhausgelb angenommen.
In Ruperts Augen lag keine ungesunde Mattigkeit; sie bohrten sich mit dem Heißhunger eines Jungen, den man mit einem geneigten Brett am Rücken nicht kleinkriegen konnte, in Isaac. Isaac musste wegschauen. Man konnte sich eine Gehirnentzündung holen, wenn man einen Jungen anstarrte, der niemals blinzelte. Trotz seiner absoluten Bewegungsunfähigkeit hätte er Isaac mit der verhexenden Macht seiner Augen fertiggemacht. Der Chef respektierte eine solche Unversöhnlichkeit. Doch auf ein Blickgefecht mit Rupert ließ er sich nicht ein. Isaac konnte nicht gewinnen.
An der Tür schlug ihm ein Geruch entgegen, der ihn fast um den Verstand brachte; auf einem Stuhl häuften sich Karamellbonbons, schwarze Halva, in der Lollipops mit gespitzten Stielen steckten, gefärbtes Zuckerwasser in kleinen Wachsflaschen, die man mit den Zähnen durchbeißen musste, aufgedunsene Marshmallows und weiße Schokolade. Diese Dinge mussten aus der Bronx angeliefert worden sein, aus dem Süßwarenladen der Guzmanns. Isaac knurrte den schlafenden Sheriff an.
»Hatten Ruperts Besucher Ohrenschützer auf ihren dummen Köpfen?«
Der Sheriff deutete mit einer schwachen Bewegung seines Kiefers ein eingeschüchtertes »Ja« an. Mit geballten Fäusten sprang Isaac in den Korridor. Zorro hatte das Krankenhaus betreten und wieder verlassen, ehe Isaac sich auch nur an der Nase kratzen
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