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Das Isaac-Quartett

Das Isaac-Quartett

Titel: Das Isaac-Quartett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jerome Charyn
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sitzen, ohne »Haltet den Dieb« zu schreien. So sehr hing sie nicht an einem Stapel Unterhosen. Wenn der Bus in Chicago hielt, würde sie sich neue kaufen. Jetzt konnte sie unbelastet mit einer Zahnbürste in der Tasche reisen. Sie nickte ein.
    Im Traum sah sie einen Anzug aus Büffelleder, einen Dieb mit baumelnden Beinen. Sie brauchte sich nicht in die Wangen zu kneifen. Der Koffer stand neben ihren Zehen. Ein Mann zerrte Henry am Nacken seines unechten Büffelkragens. Blue Eyes. Wenn dieser Dieb nicht dabei gewesen wäre, hätte sie ihn im Überschwang ihrer Gefühle erwürgen können. Sie glaubte sterben zu müssen, wenn sie ihn nicht sofort hinter den Ohren leckte.
    Coen benahm sich blöd. »Marilyn, ich hab mich aus dem Bellevue fortgeschlichen. Ich habe vierzig Minuten Zeit. Stanley deckt mich. Ich habe mir gedacht, dass du hier bist. Aber ohne diesen Gauner hätte ich niemals zu dir gefunden. Mir ist aufgefallen, was er in der Hand trug.«
    »Manfred, es gibt Millionen von Koffern, die genauso aussehen, wie immer.«
    »Das stimmt. Aber aus wie vielen davon baumeln seitlich lila Unterhosen raus?«
    Sie lachten, während Henry einen steifen Hals bekam. Er hielt Coen für einen Gorilla, der für Zorro arbeitete. Er drückte seine Finger gegen die Brust und betete. Er hatte gehört, dass die Guzmanns trotz Peru religiöse Leute waren. Würden sie ihm einen Priester schicken, ehe sie ihm die Haut vom Gesicht zogen?
    »Soll ich ihn laufenlassen, Marilyn? Schließlich hat er mich zu dir geführt. Wenn ich ihn festnehme, haben wir auch keine Zeit mehr für uns.«
    Marilyn war nicht nachtragend. Sie küsste Henry auf die Stirn und dankte ihm, weil er Coen zu ihr geführt hatte. Henry brachte ein Viertel von einem Lächeln zustande. Dann galoppierte er auf die Rolltreppen zu. Nach Coen traute er der Treppe nicht mehr.
    Marilyn fummelte an Blue Eyes herum, ihre Arme in seinem Kamelhaarmantel, und ihre Zähne hieben sich in seinen Kiefer. Der Bulle konnte nicht widerstehen. Er hatte den größten Teil ihrer Bluse in der Hand. Marilyn schleuderte ihre Schuhe weg und wand sich aus ihrem Rock. Sie hätte Coen mit sich auf die Bank gerissen, aber der Bulle traute sich nicht. »Marilyn, hier laufen Detectives rum. Sie könnten uns bei Isaac verpetzen.«
    »Wer macht sich was aus Petzen?«
    Coen erspähte etwa sechs Meter hinter Marilyn eine Nische. Es war der Eingang zu einer Toilette, die nicht mehr in Benutzung war. Er hob ihren Rock, ihre Bluse und ihren Koffer auf. Marilyn trug ihre Schuhe. Die Nische war eng, und sie konnten sich nirgends hinlegen. Marilyn lehnte sich an eine dreckige Wand. Coen fiel die Hose auf die Knie. Ihre Bäuche trafen sich unter den Mänteln. »Blue Eyes«, sagte sie. Bald wurde ihr Murmeln undeutlich.
     
    An sein kippbares Krankenhausbett mit den Rädern gebunden, starrte Rupert seinen Vater und Mordecai, die beiden schäbigen Prinzen der Essex Street an. Er konnte nicht »Papa« sagen und auch Mordecai nicht begrüßen. Beim Sturz von Isaacs Feuerleiter war er auf dem Genick gelandet und hatte seine Redefähigkeit verloren. Er war den Worten seines Vaters gegenüber nicht taub, aber Mordecai fiel Philip ständig ins Wort.
    »Hör uns zu, Rupert. Kein Scheißbulle kann mehr in dein Zimmer kommen. Draußen steht ein Wächter mit einer Waffe. Wenn das nicht reicht, werden ich und dein Vater bei dir sitzen bleiben. Nächstes Mal halten wir Isaac auf. Rupert, magst du Orangensaft? Du musst nur mit dem Kinn nicken.«
    Ruperts Kinn war in dicke Gazewickel gehüllt. Eine Krankenschwester hatte ihm den Schädel rasiert und ihn in dreißig Meter Verband gewickelt.
    »Schwachkopf«, sagte Philip. »Wie soll er uns bedeuten, dass er Saft will?«
    Die Prinzen fingen an, sich zu zanken. Sie wurden von Krankenschwestern vor die Tür gesetzt. Mordecai kratzte sich am Knie. Rupert sah auf die krummen Linien, die der Rücken seines Vaters bildete. Bonbonstreifen auf einem Zwanzig-Dollar-Hemd konnten die Knoten unter Philips Schulterblatt nicht verbergen. Rupert schrie innerlich auf. Tschüss, Papa. Tschüss, Mordecai. Er würde diese beiden Männer bemuttern müssen. Sie hatten graue Büschel hinter den Ohren: Bis jetzt war keiner von beiden Großvater. Mordecai ging mit gebeugten Knien. Philip hatte einen krummen Hals von den Jahren, die er damit vergeudet hatte, sich in die Essex Street zu kauern. Er würde seinen Vater aus Isaacs Einflussbereich fortholen. In Ruperts Krankenhausboot würden sie auf den

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