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Das Isaac-Quartett

Das Isaac-Quartett

Titel: Das Isaac-Quartett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jerome Charyn
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schwanke über den Times Square. Zorro biss sich ins Hemd, um nicht laut aufzuheulen. Der Anfall wollte nicht vorübergehen. Einem seiner Brüder war etwas zugestoßen. Nichts Geringeres hätte seine Brust in so scharfem Rhythmus schlagen lassen können. Die Guzmanns hatten Nabelschnüre, die ganz Manhattan umspannen konnten.
    Der Fuchs fühlte sich paralysiert. Seine Brüder hielten sich an zwei Orten auf: im Süßwarenladen und in Silvers Schul. Selbst der Fuchs der Boston Road konnte nicht mit einem Satz in beide Richtungen springen. Zorro musste sich entscheiden. Silver würde nicht zulassen, dass Isaac der Scheißer Jerónimo etwas tat, befand er mitten im Schritt. Daher begab sich der Fuchs über den Osten nach Norden; er sprang von einem Taxi ins andere. Die Taxler von Manhattan waren von Isaacs blauäugigen Bullen vor dem Fuchs gewarnt worden; er wurde gesucht, weil es hieß, dass er junge Mädchen verdarb.
    Mit Taxifahrern konnte Zorro locker umgehen. Im dichtesten Verkehr wechselte er die Taxis, ohne jemals sein Ziel anzugeben. »Fahr einfach geradeaus, Hombre … Ich zeig dir, wo du abbiegen musst.« Er war der einzige Guzmann mit einem Hauptschulabschluss. Aber dann war er nicht mehr weit gekommen. In der Herman Ridder Junior High School an der Boston Road hatten ihn sämtliche Lehrer geplagt. Sie hatten ihm den Kopf mit unwesentlicher Geografie vollgestopft, und alles, was sie sagten, hatte im Widerspruch zu seinen Vorstellungen von der Welt gestanden, die er sich im Süßwarenladen gebildet hatte.
    Zorro wusste mehr über Kolumbus (Cristóbal Colón) als jeder andere unter seinen Klassenkameraden. Cristóbal war in eine Familie von marranischen Wucherern, Taschendieben und Räubern hineingeboren worden. Die Familie war aus Spanien geflohen und in Genua untergetaucht. Mit etwa zehn wurde Cristóbal Zuhälter, dann Zuchthäusler, Mörder und religiöser Fanatiker. Im Gefängnis von Genua überkam ihn die verrückte Bekehrung; er hielt sich für den Messias, der Marranen, Zuchthäusler und die zerstreuten Stämme Israels aus einem verderbten Europa führen würde. Da sie sich vor Cristóbal Colóns Messiasgeschwätz fürchteten, ließen seine Kerkermeister ihn frei und verbannten ihn lebenslänglich aus Genua.
    Cristóbal ging zum König von Portugal. Der König interessierte sich nicht für Sträflinge und abtrünnige Juden. Die Monarchen Spaniens waren Cristóbals Plänen gegenüber aufgeschlossener. Er versprach ihnen beträchtlichen Reichtum. Indem er gehörig weit nach Westen segelte, könnte er den Osten finden und Ferdinand und Isabella mit den Juwelen Indiens und der Insel Zipangu (Japan) belohnen. Sie finanzierten Kolumbus’ Reise, weil sie darin eine einträgliche Möglichkeit sahen, Juden loszuwerden.
    In Papas Augen war Cristóbal ein Schwindler. Kein Marrane wäre je auf die Idee gekommen, dass die Welt etwas anderes als flach sein könnte. Da mit seinen Seekarten etwas nicht stimmte, war Kolumbus nach Osten gesegelt und mit seinen drei Schiffen und einer Mannschaft von Zuchthäuslern und marranischen Zuhältern auf den Bahamas gelandet.
    Diese Geschichte gab Zorro vor seiner Klasse wieder. Die Jungen und Mädchen saßen kichernd auf ihren Schulbänken. »Flach«, beharrte Zorro. »Die Boston Road ist nicht gekrümmt.«
    Er wurde als Schwachkopf beschimpft, als verdorbener Bengel, als Gauner aus einem Süßwarenladen. Die gescheitesten Mädchen lachten am lautesten über ihn. »Zorro Guzmann, Planeten gibt es nur kugelförmig.« Er wurde angeglotzt und aufgefordert, sich wieder zu setzen. Von da an war er nicht mehr zur Schule gegangen.
    Zorro hatte einen Freund in seiner Klasse. Manfred Coen, ein blauäugiger Jude aus der Boston Road, gleichaltrig mit Zorro. Coen lachte nicht. Eine flache Welt war ihm einsichtig und nur allzu recht. Abgerundete Dinge wie Ballons und Eier (Coens Papa hatte einen winzigen Eierladen) konnten ihn nicht entzücken. Coen verbrachte mit seiner Familie die Sommer auf Papas Farm. Dann hatte sich Coen entschlossen, Bilder zu malen und auf die Kunstschule zu gehen. Er war Zorro entglitten. Er war Bulle geworden und hatte für Isaac den Scheißer gearbeitet, der versuchte, die frühere Beziehung des Jungen zu den Guzmanns auszubeuten. Coen war zwischen dem Präsidium und dem Süßwarenladen in der Falle und starb in einem Wahnsinnsduell mit einem von Zorros Killern. Zorro konnte ihm nicht nachtrauern. Coen war von seinem Boss beschissen worden. Der große Chef hatte

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