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Das Isaac-Quartett

Das Isaac-Quartett

Titel: Das Isaac-Quartett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jerome Charyn
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zweimal täglich losschicken, um zu beweisen, dass die Guzmanns noch am Leben waren. Jorge ließ sich von Polizeibeamten in einem Auto nicht einschüchtern. Er war Papas mittleres Kind. Seine Finger setzten an wie ein Nussknacker, wenn er einen im Griff hatte. Er konnte einem Mann den Kiefer aus dem Kopf reißen. Doch Jorge war ein lieber Goliath. Er hätte niemals Ladeninhaber, kleine Kinder und alte Frauen erschreckt. Im spanischen Lebensmittelladen kraulte er Katzen, auch, wenn sie ihre Krallen ausstreckten. Solange man die Territorien seines Vaters nicht bedrohte, hätte Jorge einem niemals böse gewollt.
    Scanlan traute sich nicht, den First Deputy Commissioner von New York anzuschubsen. Er beugte sich über die Lehne, um ein paar Worte zu murmeln. »Papas Vieh«, sagte er. »Jorge läuft frei herum.« Die Falten wichen aus Isaacs Stirn. Er erwachte mit einem schwachen Lächeln. Isaac hatte gelernt, die Jungs voneinander zu unterscheiden, ihre schwachen Stellen und ihre besonderen Angewohnheiten zu erkennen. Alejandro spielte im Bett mit seinem Schwanz. Jerónimo konnte große Mengen weiße Schokolade in sich reinfressen, wogegen ihn ein Riegel dunkle Schokolade außer Gefecht setzte. Topals Daumen waren zart und mädchenhaft. Jorge hatte dürre Beine.
    Die Chevrolets fuhren langsam durch die Boston Road. Sie folgten Jorge fast eine Kreuzung weit. Papas Junge hatte sich etwas eingeprägt. Er sprang auf seinem Weg von einem Laternenpfahl zum anderen, ohne den Randstein zu verlassen. Isaac konnte keinen Guzmann fangen, der Laternenpfähle umarmte. Er sah Scanlan finster an. »Es sieht aus, als würde Jorge auf seiner Straßenseite bleiben.«
    »Er wird über die Straße gehen«, sagte Scanlan, der sich in seinen Sitz kauerte. »Noch sechs Laternenpfähle.«
    Jorge hielt sich an den Verlauf des Bordsteins. Scanlan zweifelte allmählich an sich selbst. Sollte er Isaac um Erlaubnis bitten, auf dem Bürgersteig hinter Jorge herzulaufen? Isaac hätte Nein gesagt. Während Scanlan daran verzweifelte, Jorge im Rinnstein zu schnappen, verließ Jorge den Bürgersteig. Scanlan gab dem zweiten Chevrolet ein Zeichen, der sich daraufhin vor Jorge querstellte. Jetzt hatten sie ihn zwischen einem Sandwich eingekeilt.
    Stoßstangen und grüne Wagen drangen nicht zu Jorge vor. Er dachte an das Kleingeld in seiner Tasche, milchige Fünf- und Zehncentstücke. Er musste weiße Rüben für seine Brüder kaufen. Papa würde Jorge zusammenstauchen, wenn er sich von dem Mann in der Bodega auch nur um fünf Cent bescheißen ließ.
    Scanlan hatte den Jungen in die Klemme gebracht. Er hatte keine Zeit zu frohlocken. Wenn er ohne Jorge auf seiner Stoßstange in den anderen Wagen fuhr, würde Isaac ihn aus dem Präsidium verbannen und ihn in einen Kuhstall für überzählige Bullen stecken. Der Chevrolet erstickte ihn. In schlechter Luft konnte er nicht atmen. Scanlan hatte einmal mit seinem Wagen einen Hund verstümmelt, aber nie einen Menschen. Er bemühte sich, nicht auf Jorges gerundeten Rücken zu schauen. Er zielte auf das rückwärtige Nummernschild des zweiten Chevrolet. Geschlossene Fenster boten keinen Schutz vor dem Geräusch zersplitternder Knochen. Es war ein grässlicher Laut, wesentlich schlimmer als das Kreischen von Metall. Wo war Jorge? Die beiden Chevrolets enthakten sich und krochen aus dem Stadtviertel.
    Zorro Guzmann, der Fuchs der Boston Road, stand in einer Telefonzelle an der Eighth Avenue. Er tätigte keine Anrufe. Diese Zelle war sein Büro für Manhattan. Hurenhändler hinterließen ihm Nachrichten unter der Telefonzelle, darunter genaue Beschreibungen der Mädchen, die sie wollten: blond oder brünett, mit oder ohne Schönheitsflecken, mit Busen oder flachbrüstig, dreizehn oder drunter. Die Telefonzelle war frei von Nachrichten. Die Hurenhändler beschafften sich ihre Ware woanders. Zorro war vom Busbahnhof vertrieben worden. Er konnte keine ausgerissenen Mädchen mehr auflesen. Das Talent hatte er noch. Er konnte in einem papageigrünen Hemd spazieren gehen und mit einem Bündel Blumen in der Hand durch ein Busfenster lächeln. Aber auf den Busbahnhöfen wimmelte es von Isaacs Leuten. Zorro konnte sich nicht mehr in die Nähe eines Busses wagen, ohne einen braunen Stift über seinen Backen zu schmelzen. Und einen Zuhälter mit Wachskreide im Gesicht sah kein Mädchen an.
    Nicht das Ende seiner Geschäfte versetzte Zorro einen Stich unter dem Herzen. Er wankte aus der Zelle. Fußgänger glaubten, ein Katatoniker

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