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Das Isaac-Quartett

Das Isaac-Quartett

Titel: Das Isaac-Quartett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jerome Charyn
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Schrank mit dem zerfetzten irischen Vorhang über der Tür (von jüdischen Webern aus Limerick hergestellt, und er haarte sehr) war es, was die Guzmanns so sehr erschreckte. Papa und seine Jungen waren davon überzeugt, dass Adonai in diesem Schrank aus Bagdad wohnte. Jedes Mal, wenn Patrick unter den Vorhang griff, sahen sie sich nach Rauch um. Sie schauderten, wenn der große Ire ihnen seine Thora brachte. Die Thora musste geküsst werden. Mit spitzen Lippen setzten sie flüchtige Küsse auf den Samteinband. Der Samt verbrannte ihre Münder. Sie schlossen die Augen, wenn Patrick die Thora aus ihrer Hülle nahm. Den Anblick entblößter Schriftrollen ertrugen sie nicht. Die blutrote Zunge Adonais hätte aus dem Gewirr hebräischer Buchstaben auf sie losstechen können.
    Bis auf die Zeit in der Kapelle kam Papa nicht aus dem Winterzimmer raus. Er saß bei Jorge und verdrehte ein Stück Schnur beim Fadenabheben; er spielte dieses verrückte Spiel mit sich selbst. Im schwindlig machenden Tempo kamen und gingen die Muster zwischen seinen Fingern. Papa beschäftigte sich mit nichts anderem.
    Von Zeit zu Zeit schickte Zorro Ärzte in die Schul. Es waren früh vergreiste junge Männer in Arztkitteln, Assistenzärzte, Krankenpfleger und sonstige Mediziner, die Zorro in den Unfallstationen eines der Klein-Havannas der Bronx bestochen hatte. Nur Zorros Ärzte konnten Papa vom Fadenabheben abbringen. Sie drängten sich um Jorge, schnippelten mit dreckigen Krankenhausscheren an seinen Verbänden rum und zogen sich dann in eine Ecke des Winterzimmers zur Beratung zurück. Ihr Gefasel erschien Papa sinnlos. Sie sprachen von silbernen Kniescheiben, Rückenmarksflüssigkeiten und gestohlenen Halbliterflaschen Blut. Sie setzten ihren Eifer daran, das Erdgeschoß der Synagoge in eine chirurgische Abteilung zu verwandeln. Masken und kleine Messer wurden neben Jorges Bett angehäuft.
    Papa brauchte ein paar Wochen, um dahinterzukommen, dass diese Männer Schauspieler waren, Idioten in Arztkitteln. Sie waren in der Lage, Jorge mit ihren kleinen Messern zu ermorden. Er wollte keine silbernen Kniescheiben an seinem Jungen. Er warf Zorros Ärzte aus der Synagoge. Sie zischten ihm den Namen des Fuchses vom Fuß der Treppe zu. »Dem Fuchs wird das nicht gefallen. Der Fuchs hat uns dafür bezahlt, dass wir uns um seinen Bruder kümmern. Was verstehst du schon von Medizin, Alter?«
    Mit Schwachköpfen ließ sich Papa nicht auf Auseinandersetzungen ein. »Sagt meinem Jüngsten, dass ihr Jorges Knie nicht von mir bekommt.«
    Papa rief seine marranischen Medizinmänner hinzu. Sie hatten wesentlich sanftere Gesichter als diese ältlichen jungen Männer. Sie wussten, wie man um einen verkrüppelten Jungen weint. Und sie waren fähige Praktiker. Sie beugten sich über das Bett und hauchten ihren Knoblauch in Jorges Wunden. Mit den Heilmitteln, die sie in ihrem Singsang nannten, hatte Papa keine Schwierigkeiten. Sie versprachen mannigfaltige Auferstehungen: Schnee in Jerusalem, wiederhergestellte Knöchel und Knie, Krankenhausbetten, die an einer Wand hochrollen konnten, und die Rückkehr aller Marranen ins arabische Spanien. Bei diesen Nachrichten weinte Papa. Er erholte sich langsam von der Betäubung eines dreißigjährigen Nachtlagers in der Bronx. Amerika war kein Land für ihn. Unter Christen und Juden konnten die Marranen nicht existieren. Doch das Spanien, das sie suchten, war vor achthundert Jahren gestorben, als die Mauren aus Sevilla abgezogen waren.
    Patrick musste die Guzmanns und ihre Medizinmänner verpflegen. Die Medizinmänner waren ein zimperlicher Haufen. Marranen essen mit den Händen, verkündeten sie und verschmähten Patricks Löffel. Seine belegten Brote und seine Suppen rührten sie nicht an. Patrick musste zu einem kubanisch-chinesischen Restaurant in der Nähe des Chelsea-Hotels laufen, um Unmengen Schweinefleisch und schwarze Bohnen zu besorgen.
    Die Guzmanns zu pflegen, war eine Aufgabe, die einen Mann auslaugen konnte. Patrick nutzte jede ruhige Minute, um in die Kings of Munster zu entkommen. Er zog sich sein Guinness rein, kam völlig fertig wieder ins Winterzimmer und sang unanständige Lieder (über die Hexe von Limerick und den Verkehr unter der Balls Bridge), die niemand verstand.
    Papa konnte sich die Geografie von Irland nicht merken. Es machte ihm Schwierigkeiten, sich an beide Enden der Bethune Street zu erinnern. Sogar die Boston Road entschwand ihm. Er konnte eine Generation Heidelbeeren, Malzmilch und Halva

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