Das Isaac-Quartett
Ohren. Isaac konnte den Wehklagen der Kantoren nicht entrinnen. Ihr Kol Nidre klebte an seinem Körper wie ein Umhang aus dichtem, nassem Pelz, der ihn stinken ließ. Er konnte nicht zurück ins Präsidium gehen. Dort hätte er zusehen müssen, wie die Möbelpacker seinen Schreibtisch zerlegten und alle Schubladen zum Chatham Square brachten. Isaac war als letzter Kommissar in der Centre Street übrig geblieben. Die irischen Häuptlinge hatten sich bereits in ihrer Ziegelfestung in der Nähe von Chinatown eingerichtet. Vom nächsten Monat an würde Isaac mit den anderen Kommissaren in den Mandarin-Restaurants der Bayard Street grünen Tee schlürfen.
Mit zusammengezogenen Augenbrauen überquerte er die Bowery. Der Wurm fing wieder an zu kriechen. Er konnte keinen Schritt gehen, ohne sich den Magen zu quetschen. Jemand pöbelte ihn durch das Fenster eines Lokals in der Ludlow Street an. Es war seine frühere »Verlobte«, Ida Stutz. Sie lief aus dem Restaurant, um Isaac anzugaffen.
»Rechnest du mit einem Regenguss aus heiterem Himmel?«, sagte Ida. »Oder soll das ein Deckel für dein Gehirn sein?«
Das Taschentuch fiel Isaac wieder ein. Er nahm es ab.
»Wo ist dein Gemahl?«, fragte er mit Gift in der Stimme.
Ida erbleichte. »Wer kann denn mit Blintzen im Ofen heiraten? … Welcher Gemahl?«
»Dein Buchhalter, dieser Luxenberg. Der mit dem Plastik auf den Ärmeln.«
»Dieser Veruntreuer? Isaac, hast du jemals einen solchen Mann gesehen? Er schiebt mich vor, damit er in der Buchführung des Lokals schummeln kann. Luxenberg hat uns reingelegt.«
»Warum hast du mir nichts davon erzählt? Ich hätte ihm das Plastik von den Armen reißen können.«
»Du warst mit den Guzmanns beschäftigt«, sagte Ida. »Wer könnte sich schon an einen Kommissar wie dich wenden?«
Ohne das Taschentuch sah Isaac traurig aus. Er war nicht mehr der Bischof der Lower East Side. Ida war wieder für den Moschusgeruch eines früheren »Verlobten« empfänglich. Sie hätte auf der Straße über Isaac herfallen können, ihn unter seiner Kommissarsuniform umarmen können.
»Isaac, wollen wir uns bei dir treffen oder bei mir?«
»Bei mir«, sagte Isaac.
»Lassen Sie mir zwanzig Minuten Zeit, Mister. Ich habe einen Kartoffelkuchen im Ofen.«
Isaac ging zu seiner Wohnung in der Rivington Street. Er hatte zwei kleine Zimmer, in denen er seine Kleider abschütteln und sich von seinen Verpflichtungen im Präsidium lösen konnte. Zu Hause war er ein Junge mit Sockenhaltern an den Beinen und nicht der Amtierende First Deputy Commissioner von New York. Isaac brauchte den Schlüssel nicht im Schloss zu drehen. Die Tür war unverschlossen. Er fragte sich, ob Papa ein paar »Kantoren« für ihn zurückgelassen hatte, Herren aus Peru mit Schlagstöcken in den Ärmeln, die Isaacs Gedächtnis ausradieren, die Füllung aus seinem Skalp dreschen konnten. Isaac würde Papas »Kantoren« mit einem mürrischen Hallo begrüßen. Er zögerte nicht. Er trat ein, ohne nach seiner Waffe zu tasten.
Eine nackte Frau saß in der Wanne in seiner Küche und rauchte eine Zigarette. Wie hätte Isaac die Titten von Marilyn the Wild verwechseln können? Nicht jeder Vater konnte sich die Brüste seiner Tochter anschauen. Er hörte ein Pfeifen in seinen Ohren. Würden ihm die irisch-jüdischen Feen, die St. Patricks Schul behüteten, die Augen ausbrennen, weil er Lady Marilyn lüstern ansah? Isaac musste einen zimperlichen Wurm im Darm haben. Der Wurm griff mit gehässiger Tatkraft nach seinem Dickdarm. Isaac presste die Knie zusammen und knallte an den Rand der Wanne.
»Christus«, sagte er, »kannst du dir nicht etwas überziehen?«
Er gab ihr ein Hemd zum Anziehen. Marilyn stieg mit einer gewundenen Bewegung aus der Wanne, die Isaac bestürzte. Er wollte nicht die Wand anstarren, während Marilyn ihren Körper in sein Hemd zwängte. Das Hemd fiel ihr auf die zarten Furchen auf der Vorderseite ihrer Knie. Eine angezogene Marilyn half Isaac auch nicht weiter. Die Nähe seines Mädchens – das bittersüße Aroma, das von ihren Haaren aufstieg, der Schwung ihres Halses in einem seiner eigenen Kragen, die pinguinartige Unbeholfenheit ihrer Kniescheiben – spülten den Chef weich. Er wünschte, er könnte seinen fünfzigsten Geburtstag ohne Tochter erreichen. Er konnte nicht mit Marilyn the Wild in einem Raum existieren.
»Ich werde dir nicht lange zur Last fallen«, sagte sie. »Ich wollte nicht in einem schäbigen Hotel wohnen, bis ich eine Wohnung gefunden
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