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Das Isaac-Quartett

Das Isaac-Quartett

Titel: Das Isaac-Quartett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jerome Charyn
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Gab es denn kein anderes Restaurant in Dublin, wohin der Bursche gehen konnte? Brauchte Dermott dieses Lo Mein, einen Block vom Hotel entfernt? Er herrschte über ein merkwürdiges Reich, dieser König.
    Isaac ahmte Dermotts Spaziergang in St. Stephens Green nach, schlüpfte Schritt für Schritt in Dermotts Haut. Was betrachtete der König von seinem Gartenhäuschen aus? Das langsame, sorgfältige Paddeln der Enten? Die Art, wie sie ihre Schnäbel ins Wasser hielten? Bemerkte er den Dreck, die Blätter und Flaschen am nördlichen Ende des Teichs? Die dicken grünen, kugeligen Bäume? Und starrte er vom Park aus zum Dach des Shelbourne hinüber? Sah er die eisernen Geländer, die große Fernsehantenne, die nackte Fahnenstange, die Dachfenster, das feine weiße Dach, die vier Wetterfahnen? Ein paar hundert Meter vom Shelbourne entfernt. Endete für Dermott Bride hier schon Dublin?
    Isaac nahm ein anderes Zimmer. Die Hoteldiener brachten ihn zur Vorderseite des Hotels. Ich möchte sehen, was Dermott sieht. Er starrte zum Fenster hinaus auf den Park, auf die Häuser am Rande des Parks mit ihren Dachschrägen, auf den Verkehr, die Hügel außerhalb Dublins. Dann ging er in die Lounge. Komische Leute saßen da. Rowdys mit gebrochenen Nasen. Sie tranken Guinness und trugen Helme, die wie Malerhüte aussahen, nur dass diese hier Kinnriemen hatten. Isaac begriff nicht, warum das Hotel sie nicht hinauskomplimentierte. Die Lounge schien vor Ehrfurcht vor ihnen zu erstarren. Männer und Frauen traten von den anderen Tischen zu ihnen und schüttelten ihnen die Hand. Isaac verstand kein Wort, bis ein Angestellter ihm sagte, dass morgen National Hurling Day sei. Das waren die Champions. Hurler aus Cork. Worum zum Teufel ging es beim Hurling? Ein Spiel mit Schlägern, Hurleys genannt, und einem Lederball mit Hartkern. Irlands Nationalsport. Sechzigtausend Zuschauer eilten zu den Hügeln von Croke Park, um das Endspiel zwischen Wexford und Cork zu sehen. Härter als Football, meinte der Angestellte. Man konnte jemandem die Fresse mit einem dieser Hurlingstöcke einschlagen. Isaac wünschte, er hätte einen Hurley in der Hand, sich auf Dermotts Vasallen zu stürzen. Er würde für Irland siegen und für die Vereinigten Staaten. Er würde Dermotts Skalp als Ball verwenden. Würde den Schädel durchs Gras kullern lassen. Er wäre der Meisterhurler, der »Mann des Tages«. Alle irischen Bischöfe kamen nach Croke Park. Vielleicht würde Isaac heiliggesprochen. Sie würden ihm den Rock of Cashel mitgeben nach Amerika …
    Der First Dep hatte den Verstand verloren. Diese Männer mit ihren Malerhüten hätten in keinem Team mit ihm zusammen gespielt. Isaac überließ ihnen, den Champions aus Cork, die Lounge. Er beschloss an der Liffey entlangzugehen. Er brauchte Ulysses nicht. Er konnte sein Dublin auch ohne Mr. Joyce haben. Marshall war der Besessene. Nicht er. Er wollte nicht um Anna Livia, die Flussgöttin, buhlen. Das überließ er den Iren. Aber der Fluss wirkte heute bewegter, nicht mehr so stinkig. Die Sonne brannte aufs Wasser und färbte es rot wie einen Königsbart.
    Er kam zu einer Reihe von Lagerhäusern an den Kais. Wieder ein ärmeres Dublin. Pferdekarren und kleinere Gemüseläden, Kinder zerrten an seiner Hose. Sie hatten dreckige Gesichter und zerrissene Ärmel. Isaac wusste nicht, was sie von ihm wollten. Es handelte sich um professionelle Bettler aus einem Zigeunerlager nördlich von Dublin. Er gab ihnen all seine irischen Pennies. Doch noch immer zerrten sie an ihm herum. Ein alter Mann musste sie mit dem Stock verjagen, sonst wären sie Isaac bis in die Hose gestiegen. Er fand sich am Sir-John-Rogerson-Kai wieder. Lime Street und Misery Hill. Eine riesige schwarze Limousine klebte ihm im Schritttempo an den Fersen. Isaac blieb stehen und ging weiter. Er dachte ja gar nicht daran, es dem Wagen auch noch leicht zu machen. Sollten die Mistkerle doch die Kiste am Sir-Johns-Kai abwürgen. Die Pferdekarren würden sie schon wieder in die O’Connell Street bringen. Der Wagen brummte näher. Eine Tür ging auf. Wie einen stinkenden Fisch aus der Liffey zogen sie den First Dep ins Wageninnere. Er hockte auf Timothy Snells Schoß. »Du blöder Hund.« Es gab nur zwei Möglichkeiten, reimte sich Isaac zusammen: Entweder bringen sie mich zu Dermott oder sie killen mich in einer Seitengasse an den Kais. Der Wagen rollte in eine gottverlassene, dunkle Sackgasse. Moses der Abtrünnige hatte keine Gebete, die er murmeln konnte.

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