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Das Isaac-Quartett

Das Isaac-Quartett

Titel: Das Isaac-Quartett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jerome Charyn
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Papiere aus seiner Brieftasche, eine Rückflugkarte und eine Geburtsurkunde auf den Namen Inez Silverstein, Mordeckays nordamerikanische Nichte.
    Caroline schlief auf Coens Bett. Coen setzte sich neben sie. »Caroline«, flüsterte er, »wer hat dich in die Darwin Street gebracht?«
    Der Chinese schimpfte ihn. »Herr im Himmel, du wirst sie noch aufwecken.« Am Fußende der Betten richtete er Schlafgelegenheiten für Coen und sich. Coen zog sich im Bad aus. Der Chinese murmelte: »Noches«, und begann augenblicklich zu schnarchen. Coen ließ die Unterhose im Bett an.
    Caroline zog das gleichmäßige Schnarchen des Chinesen Coens tiefem Atem vor. Sie wünschte, sie könnte bei Jacobo dem Roten sein. Jacobo hätte sich nicht auf den Fußboden gelegt und nur seine Zehen aus der Decke schauen lassen. Wenn sie die Wahl gehabt hätte, hätte sie den Chinesen zu sich ins Bett geholt. Coens Ohren waren zu spitz. Er war so scharf wie ein Bluthund. Außerdem hatte sie etwas gegen Bullen mit spitzen Schuhen. Die Augen des Chinesen waren ihr lieber; er stellte keine Vaterfigur dar wie Coen. Sie war dem Chinesen eine gewisse Treue schuldig; gemeinsam mit einem grauhaarigen Jungen, einem Schwachsinnigen, der im Flugzeug Erektionen hatte, hatte er sie nach Mexiko gebracht. Der Chinese hatte sie mit Jacobo, Chepe, Dieguito und Miguel bekannt gemacht, die Eheringe von einem alten Juden in einem anderen Stadtteil ausgeliehen, einem gewissen Mordeckay, und jetzt gehörte er zu der Verschwörung, die sie zurückbringen sollte. Dieser Bulle schien ihn in seiner Macht zu haben.
    Caroline war nicht gerade verwöhnt. Die Carbonderry School hatte sie nicht so bösartig gemacht wie Odile. Über ihre Qualitäten als Verführerin machte sie sich wenig Illusionen. Jacobo hatte sie umsonst bekommen; aus Rücksicht gegenüber seinen Cousins teilte er sie mit ihnen. Diese Regelung war Caroline recht. Sie hasste die Liebe, mit der ihr Vater den Künsten ergeben war, sein selbstgefälliges Dasein als Mäzen, die Überlegenheit, die er gegenüber allem Amerikanischen empfand, seine Pinter-Festspiele, seine Beckett-Wochen, seine Artaud-Happenings (kleine Veranstaltungen, bei denen Bänke kaputt geschlagen wurden und Mädchen im Publikum Stücke aus ihren Blusen verloren, wenn auch niemals Caroline), seinen englischen Tee, seine Croissants, die Rokokospiele in seinem Tischtennisraum, an denen Caroline nie teilnehmen durfte. So von den Vergnügungen ihres Vaters ausgeschlossen zahlte Caroline ihrer Cousine Odile dreihundert Dollar, die sie sich von ihrem Taschengeld von dreißig monatlich zusammengespart hatte, um sich durch sie aus dem Land schmuggeln zu lassen. Wenn er es wenigstens über sich gebracht hätte, ihr ins Gesicht zu sehen, wäre sie vielleicht trotz allem bei ihrem Vater geblieben. Vander sammelte Schönheiten; er umgab sich mit Odile und den hyperempfindlichen Geschöpfen seines Bernard-Shaw-Revivals (Mädchen mit flachen Nasen und großartigem Kinn). Als sie sich ihres eigenen hausbackenen Äußeren bewusstgeworden war, hatte Caroline ihrem Daddy beweisen müssen, dass ein Mann sie begehren konnte, selbst wenn es nur Jacobo der Rote war.
    Ihre Blicke ruhten auf dem Chinesen. Sie wollte mehr von ihm als das Pfeifen, das zu ihrem Bett herauftönte. Daher ließ sie ein Bein aus dem Bett fallen und kratzte mit einem lackierten Fußnagel über seinen Arm. Der Chinese erwachte steif wie ein Messer. Er nahm den Fuß zur Kenntnis, der über ihm schwebte.
    »Missy, zieh deine Zehen wieder ein, und behalt sie oben.«
    »Nein«, sagte sie und bemühte sich, zu flüstern. »Bist du müde, Chino? Wenn du nicht raufkommen kannst, komme ich zu dir runter.«
    »Bist du verrückt?«, sagte er. »Was ist mit dem Polen unter dem anderen Bett? Das ist ein Bulle, ein gewissenhafter Mensch. Mach keinen Unsinn. Er wüsste, wenn wir dieselbe Zahnbürste benutzen würden.«
    Caroline schmollte; das Nachthemd, das Chino ihr gegeben hatte, blieb an ihren Kniekehlen hängen, und sie konnte den Saum nicht heben. »Ach, zum Teufel mit ihm. Das ist doch nur ein blöder Bulle. Der ist mir gleich.«
    »Mir nicht, Missy.« Der Chinese kroch tief unter das Bett; er musste an Odile denken; dieses Mädchen hatte erreicht, dass er sich selbst benässt hatte. Er hätte sich an Césars Maxime halten sollen; werde niemals bei einer Prostituta schwach. Doch es juckte ihm jetzt noch in den Fingern, dass er auf das Bein einer Angorahose geklettert war, um seidige Haare auf einem

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