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Das Isaac-Quartett

Das Isaac-Quartett

Titel: Das Isaac-Quartett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jerome Charyn
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Mädchen hergebracht?«
    »Komm jetzt«, sagte Chino und steckte beide Automatik in seinen Gürtel. Er knöpfte den Knopf seiner Jacke zu, die sich an keiner Stelle ausbeulte. Coen folgte ihm in ein Straßencafé an der Juarez. Die knallgrüne Leuchtschrift im Fenster verkündete: »Productos Idish«. Der Chinese bestellte eine Schale saure Gurken und eine heiße Pastrami. Coen nahm Hühnersuppe.
    »Nicht schlecht, Pole, was? Die Salami wird aus Chicago eingeflogen.«
    »Woher weißt du das?«
    »Von Zorro.«
    »Christus«, sagte Coen. »César isst auch hier? Außer César bestellt kein Mensch Gurken in einer Schale.«
    »Schmock«, sagte der Chinese. »Glaubst du, ich lerne nichts dazu? Hör auf, über César zu quatschen. Du verdirbst mir den Appetit.«
    An der Reforma nahmen sie ein Taxi für zwei Pesos und fuhren mit einer Gruppe von Mexikanern in kurzärmeligen Hemden. »Buenos noches«, sagte Chino zu den Mexikanern, die es kaum erwarten konnten, einen Chinesen Spanisch sprechen zu hören wie einen Capitalino. »Noches«, sagten sie. Mit dicht gedrängten Knien saßen sie zu viert auf dem Rücksitz und doch nahm niemand von den Gewehrkolben unter Chinos Taschen Notiz oder spürte den Knüppel an seiner Wade. Ein Schwall von Vorstellungen ging durch die Sitze. »Hermano Reyes«, sagte Chino, der bei Mexikanern seinen christlichen Taufnamen nannte. Er sah Coen böse an und trat ihm auf den Fuß, weil er bis jetzt geschwiegen hatte. »Noches«, sagte Coen. Chino stellte ihn als »un gran Hombre«, Detective Manfredo Coen, vor. Die Mexikaner sahen ihn ehrfürchtig an, als sie hörten, dass Coen in New York bei der Mordkommission war. Sie wollten mehr über den Chinesen wissen. Er erzählte ihnen, er sei Kaufmann, handle mit Pferdefleisch und anderen leicht verderblichen Esswaren und sei Spezialist für Taxis. Der gespannte Ausdruck auf ihren Gesichtern und die Aufmerksamkeit, die sie dem Chinesen schenkten, zeigte, dass ihnen Pferdefleisch und Taxis wesentlich interessanter erschienen als die Aufklärung von Mordfällen. Als sie ausstiegen, schüttelten sie Coen die Hand und versicherten dem Chinesen, ihre Stadt sei su casa (sein Haus). Der Chinese wollte Bonbons kaufen, ehe sie das Mädchen holten. Sie traten in einen Drugstore aus Glas und Kacheln. Coen sah eine Horde von blonden Knaben und Mädchen schwatzend in ausgebleichten Klamotten an einer Theke lehnen. Er konnte ihre Stimmen, ihren Akzent und ihre steifen Oberkörper nicht einordnen. Mit ungebrochenem Rückgrat und den Händen in den Taschen schienen sie in Positur zu stehen. Coen sagte nichts, bis sich der Chinese für saure Drops entschieden hatte. Dann flüsterte er: »Wer sind die da? Bleiche Freaks?«
    »Die kommen aus der amerikanischen Kolonie«, sagte Chino.
    »Können sie sich nicht vorbeugen? Haben sie keine Taille?«
    »Mach dir um die keine Sorgen. Die treiben’s schon lange nicht mehr. Die Gringobabys. Sie leben von Schallplattenhüllen. Scheißen Technicolor. Trinken mit einem Strohhalm. Wie Jerónimo. Die sind noch schlimmer als die Schweinefleischfresser. Mordeckay bleibt wenigstens zu Hause.« Dann ließ er sich für sie erweichen. »Es ist nicht ihre Schuld, Pole. Sie haben ihre Papas nicht nach Mexiko geschickt. Was glaubst du, wie ich ausgesehen habe, als mein Papa mich nach New York gebracht hat? Ich habe im Sommer und im Winter Ohrenschützer getragen. Ich habe Zucker auf das Corned Beef gestreut. Meinen Hut hab ich in der Kloschüssel verloren. Jetzt komm schon, Pole. Den Kerlen könnte der Zeitpunkt nicht passen, den wir uns ausgesucht haben, um ihre kleine Gringa zu holen.«
    Er führte Coen zu einem Wohnhaus mit rosa Stuck in der Darwin Street, einer Nebenstraße der Shakespeare. Coen fiel es schwer, schmierige Gauner und ein entführtes Mädchen mit den gestreiften Markisen über den Fenstern zu assoziieren, mit dem goldenen Türklopfer an der Haustür. In einem winzigen Aufzug mit Einlegearbeiten an der Decke und ziselierten Metallwänden fuhren sie in den fünften Stock. Coen kratzte sich die Knöchel, doch der Chinese wirkte nicht die Spur nervös. Er hob seine Rockschöße, um die Kolben seiner Pistolen greifbar zu haben. Er trat auf den Treppenabsatz, öffnete eine Tür und trat ohne Ankündigung in die Wohnung. Im Wohnzimmer saßen vier Mexikaner. Keiner rührte sich, als der Chinese eintrat. Alle trugen Krawatten und frisch gewaschene weiße Hemden. Coen nahm an, es handele sich um Brüder; sie hatten alle das gleiche

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