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Das Isaac-Quartett

Das Isaac-Quartett

Titel: Das Isaac-Quartett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jerome Charyn
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Puppen zu besuchen.
    Ernestos Art, einen Knöchel darzustellen, bereitete ihm Vergnügen; Arnold empfand diese Gelenke als erschreckend echt. Es machte wenig Sinn, sich zu ausführlich mit dem Gesicht einer Puppe zu befassen. Bei seinem nächsten Besuch konnte das Gesicht verschwunden sein und Arnold erst im Schlaf wieder erscheinen. Er pickte sich losgelöste Züge heraus, Rouge auf einer flachen Nase, Nähte über einem Auge, und wandte sich dann einer neuen Puppe zu. Arnold hätte schwören können, dass er als kleiner Junge identische Puppen gesehen hatte, bei Hexenbeschwörungen außerhalb von San Juan. Er blieb fünf Minuten bei Ernesto, länger nicht.
    Im Gang sprach ihn einer der Sicherheitsleute an. Er hielt seinen Knüppel hoch und wollte Arnold nicht an seinem Stuhl vorbeigehen lassen. Er saß mit einem Schirm über den Augen unter einer Glühbirne.
    »Du bist mir was schuldig, Bruder. Du hast auf allen Stockwerken einkassiert. Der Blinde gibt dir einen Vierteldollar dafür, dass du seine Unterschrift nachmachst. Wie viel sackst du dafür ein, dass du Betty Kundschaft bringst?«
    »Schau noch mal hin, Alfred. Du verwechselst mich mit einem deiner Kunden, die dir einen Dollar wöchentlich zahlen. Ich verstecke keine Babys in meiner Hose.«
    Arnold wäre gröber geworden, aber er besaß keinen Mietvertrag, und Alfred hatte Direktkontakt zu den Besitzern des Hotels.
    »Du machst mir Konkurrenz, Arnold. Hier ist kein Platz für zwei Sheriffs. Pass auf der Treppe auf, verstanden? Wenn dir jemand einen Stock in den Arsch steckt und dich nach China schickt, müsste ich einen Bericht schreiben.«
    »Ich danke dir für deine rührende Besorgtheit, Alfred. Morgen kommt ein Mann des First Deputy, um Nachforschungen darüber anzustellen, welches Schwein den mit Methylalkohol versetzten Fusel verkauft.«
    Alfred rutschte tiefer, sein Rumpf sackte an der Stuhllehne herunter; der Knüppel hing schlaff in seiner Hand.
    »Ich habe einen Dienstausweis in der Tasche. Ich brauche mich vor dem besten Bullen nicht zu fürchten.«
    Arnold nutzte den günstigen Augenblick, um über den Knüppel zu hüpfen, ehe ihm ein Bein gestellt werden konnte. Alfred stürzte sich auf die Handschellen. Arnold erreichte sein Zimmer. Das Zeitungspapier auf seinem Fuß war zerfetzt. Er holte noch mehr Socken aus seinem Kleiderschrank (Geschenke von Betty) und bastelte sich einen weiteren provisorischen Schuh.
10
    Er konnte in Schillers Hinterzimmer nicht einschlafen. Es lag nicht an dem Spargelgeruch, dass er wach blieb. Coen hatte schon bei ganz anderen Back- und Bratgerüchen geschnarcht. Arnold hatte ihm einmal gezeigt, wie man einen Feind exorziert, indem man an die Wand spuckt, bis man kaum noch Luft bekommt und einem das Gesicht dunkel anläuft, und Coen hätte es mit etwas Derartigem probieren können, doch er hatte heute keine Mordgelüste. Seine Gedanken drehten sich nicht um die Guzmanns. Er dachte an Onkel Sheb und stellte sich die Frage, die ihn jetzt schon seit dreizehn Jahren quälte. Wie kam es, dass Shebby am Leben geblieben war? Coen verstand die beschränkte Logik seines Vaters. Er war kein nachlässiger Bruder. Ganz gleich, wie wahnsinnig er gewesen sein mochte, ganz gleich, wie viele Guzmanns ihn gepeinigt hatten oder wie viele Eier er zu verlieren hatte – wenn er schon diesen ganzen Aufwand betrieben hatte, diese Welt zu verlassen, dann hätte er sicher auch an Sheb gedacht und ihn mitgenommen. Die Coens waren penibel. Mit frisch gestärkten Kleidern waren sie in den Ofen gegangen. Was hatte Sheb an, als er auf die Feuerleiter stieg, um Alberts (und Jessicas) Tod zu verkünden? Eine Nachbarin hatte ihn in Alberts altem Arbeitskittel vorgefunden, mit Blutklümpchen an den Ärmeln und dem Geruch nach Eiern. Ein solches Kleidungsstück hätte Jessica nicht in ihrem Haus geduldet. Ihr oblag Shebs Pflege insofern, als sie die löchrigen Schals und Unterhosen aus seiner Kommode entfernte, damit er die Witwen und streunenden Ehefrauen anlächeln konnte. Albert und Jessica warfen Sheb den Kunden nicht an den Hals. Die Erfolge des Onkels waren ihm allein zuzuschreiben. Sie wollten nur sein seltsames Benehmen überspielen, der Boston Road ins Gedächtnis rufen, wie gut Sheb aussehen konnte, obwohl er sich schlecht hielt und Blasen mit den Zähnen machte. Und was war aus einem Onkel geworden, dem man Alberts Eier genommen hatte? Sheb war kein Ärger daraus entstanden, dass er um den Ofen herumgekommen war. Coen bekam Falten, seine

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