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Das Isaac-Quartett

Das Isaac-Quartett

Titel: Das Isaac-Quartett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jerome Charyn
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Wange legte, erwartete sie, er werde losschreien und den Stuhl umstoßen. Er rührte sich nicht. Sie fuhr den Bogen seiner Augenbraue nach, pirschte sich von seinem Ohr zu seinen Lippen und begehrte ihn, einen Bullen mit wellenförmigem Gesicht. Und Coen ließ sie forschen. Nie hatte er sich unter der Berührung von Fingern so passiv verhalten. Er kam sich vor wie ein dankbarer alter Hund. Als sie sah, dass sie mit ihm machen konnte, was sie wollte, wurde sie leichtsinnig und biss in alle Einkerbungen seiner Wange. Aneinandergeschmiegt sanken sie auf den Stuhl zurück. Sie schwammen in Unterwäsche. Da sie ihre Unzucht hauptsächlich im Studio trieb, während ihr Kameras ins Ohr surrten, hatte sie einen Argwohn gegen jede Art von Vorspiel entwickelt. Daher nahm sie ein Präservativ aus einer Kiste und sagte Coen, er solle es überziehen. Die kalte Hand ließ ihn zusammenzucken. Gemeinsam kämpften sie mit dem Ding. Coen hatte seit achtzehn Jahren keinen Gummi mehr benutzt, seit seinen ersten Fummeleien auf der Hochschule für Musik und Bildende Kunst. »Blödes Sauding«, sagte er. Und Odile, die ihre Karriere als Schauspielerin nonchalant anging und beschwor, sie könne keinen Mann in sich ertragen, sie spüre nichts dabei (keine ihrer Freundinnen im Dwarf war jemals unter ihre Gürtellinie gelangt), bebte und spürte Daumen in ihrem Bauch, als Coen seinen Orgasmus hatte und Spucke auf ihren Hals tröpfelte. Sie wusste nicht, was sie mit seinem Geschrei anfangen sollte. Ihre Studioliebhaber hatten einmal gegrunzt und waren abgestiegen. »Coen«, sagte sie. »Ich habe dich vorhin belogen. César bedeutet mir nichts. Der Chinese hat mich gebeten, seine Freundin zu werden. Ich habe Nein gesagt. César hat ihm gesagt, dass er nicht schnüffeln soll.«
    Sie fand ihr Höschen in Coens Stapel und zog sich schneller an als er. Nacktheit außerhalb des Betts war nicht Odiles Fall. Gelegentlich nahm sie Kunden von César an und setzte die obere Grenze auf eine halbe Stunde fest (Odile lieferte die Präservative, die kleinen Happen und Herzlichkeiten), doch mit keinem dieser Männer hatte sie die Nacht verbracht, und diese Sitte würde sie nicht für Coen brechen. Sie schlief mit einem Felltier, einem alten Bär mit abgewetzten Tatzen und Knopfaugen, den ihr Vander geschenkt hatte. Sie kratzte nervös an dem Stuhl und hatte nicht die leiseste Ahnung, wie sie Coen rauswerfen sollte. Sie verzog ihren Mund zu einem Gähnen. Er musste gehen.
    »César will, dass ich allein bleibe«, sagte sie schmollend. »Er kümmert sich um meine Interessen.«
    Coen fummelte mit seinem Schuh herum und suchte nach der Lasche. »Odile, hat César mich jemals erwähnt?«
    »Fast nie.«
    »Hast du Papa Guzmann je gesehen?«
    »Ein oder zwei Mal.«
    »Was ist mit Jerónimo?«
    »Das Baby? Er war eine Woche lang hier. Der Chinese hat ihn mit Caroline nach Mexiko gebracht. Sie hat ihm im Flugzeug das Essen bestellt. Viele zusätzliche Sodas.«
    »Hast du von Papa oder von César den Namen Albert gehört? Albert und Jessica?«
    »Nein. Aber Jerónimo hat gesagt: ›Sheb Coen, Sheb Coen.‹«
    »Was noch, Odile? Bitte.«
    »Ich kann mich nicht erinnern. Irgendwas mit einem Kopf im Feuer.«
    Seine zerknitterten Wangen machten es Odile schwer, und sie nahm ihn mit ins Bett. Coen starrte die Wand an. Sheb war dem Feuer entkommen. Hatte Jerónimo ihn gefunden, ihn in den Süßwarenladen gebracht? Hatten die Guzmanns ihn ausgezogen, seinen Sonntagsstaat versteckt, ihn in Lumpen wieder nach oben geschickt und auf die Feuerleiter gedeutet, damit er sein Totenlied für die Boston Road singen konnte? Odile musste ihren Kopf unter seine Achsel kuscheln, um ein Stück Coen zu finden. Mit einem so widersprüchlichen Mann konnte sie sich nicht behaglich fühlen. Sie schlief an seinem Schulterblatt und horchte nach dem Herzschlag an Coens Rippen. Sie sehnte sich nach dem Bär.
     
    Sweeney, die zweite Rausschmeißerin, wohnte über einer Kleiderfabrik in SoHo (in einer Seitenstraße der Broome Street), wenn sie im Dwarf dienstfrei hatte. Sie bewohnte drei erbärmlich beleuchtete Zimmer, in denen man sich vorkam wie in einem Kaninchenbau; winzig, mit dünnen Wänden, holprigen Fußböden und tiefen, tiefen Decken. Durch die Wände dampfte Heißluft von den Bügelmaschinen, und alles Holz verzog sich. Da es an Arbeitskräften fehlte, stellte die Fabrik zurückgebliebene Mädchen ein, die busweise von einem Heim bei White Plains nach SoHo gekarrt wurden. Die Mädchen

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