Das Isaac-Quartett
Cubano konnte nicht mehr Englisch als »Yes« und »No«. Zitternd stand er vor Coen auf; sein Profil wandte er lieber ein paar alten Männern als Mrs. Dalkey zu. Er roch nach schalem Parfum. »Vieh«, zischte Mrs. Dalkey. Sie entschied, dass sie durch Coen nicht zufriedenzustellen war, und holte einen Streifenbullen vom Broadway hinzu, einen Neuling. Der Neuling tat sich groß mit allem Drum und Dran; Handschellen, Halfter, Knüppel, Patronengürtel, Dienstpapier und Bleistiftmäppchen. Sein Name war Morgenstern. An seiner Jacke steckte die Nadel einer der Bruderschaften für jüdische Bullen. Coen besaß die gleiche Anstecknadel, doch er trug sie nie; zu Zeiten seiner Ehe hatte die Gesellschaft der Hands of Esau ihn informiert, sie könne keine Grabstelle für nichtjüdische Ehefrauen bereitstellen. Coen und Stephanie würden nach den Statuten der Gesellschaft in verschiedenen Friedhöfen beigesetzt werden. Coen hatte sein zukünftiges Grab einem vermögenslosen jüdischen Bullen vermacht, der seine Beiträge nicht mehr bezahlen konnte und auf dem Friedhof der Gesellschaft begraben werden wollte.
»Sie nehmen die Verhaftung vor«, sagte Coen. »Das ist Ihr Fang. Aber passen Sie auf, dass diese Damen und Herren ihn nicht in Stücke reißen, ehe Sie ihn zum Revier bringen können.«
Der Neuling bestand darauf, Coen die Hand zu schütteln. Dies war erst seine dritte Verhaftung. Die Bullen auf seinem Revier waren wesentlich geiziger als Coen. Sie traten niemandem einen »Fang« ab. Außerdem redeten sie auf der Straße nicht mit ihm.
»Wachtmeister Morgenstern«, sagte Mrs. Dalkey. »Ich wette, das ist der Lippenstift-Freak. Einen Perversen kann ich am Schweiß in den Augen erkennen.«
Der Neuling holte sein Notizbuch heraus. Sein Bleistift brach beim »F« von Freak ab. Mrs. Dalkey gab ihm einen frisch angespitzten Bleistift.
Coen rief ihm seine Telefonnummer zu. »Rufen Sie mich an, wenn er nach oben gebracht wird.«
»Was soll ich mit dem Hund machen, Mr. Coen?«
»Geben Sie ihn Mrs. Dalkey. Und vergessen Sie den Fressnapf nicht.«
Der Neuling musste sich mit dem zweiten Platz zufriedengeben, hinter Mrs. Dalkey, die ihre Leute, den Hund und den Fressnapf zusammensammelte. Coen musste die Prozession entlangschreiten, um ins Haus zu kommen. Nach weniger als zwei Stunden rief ihn der Streifenbulle an.
»Er ist weich, Coen, er hat gestanden. Die Dame hat recht gehabt. Er war früher Puppenmacher. Hat seit Jahren nicht mehr gearbeitet. Er hat die Kinder auf die Dächer gelockt. Hat das Messer zum Puppenschnitzen für die Kinder hergenommen. Er hat viele Kostüme zu Hause. Für alte Puppen. Der Freak hat versucht, den Kindern die Kleider anzuziehen. Mit seinen Fettstiften hat er sie angemalt. Er hat jedem ein Paar neue Lippen gegeben. Die Bullen konnte er nicht zum Narren halten.«
Coen drehte sich im Bett um. »Morgenstern, bei euch da drüben muss es kluge Köpfe geben. Dieser Cubano konnte noch nicht mal seinen Namen auf Englisch aussprechen. Hat man Puppenkleider bei ihm gefunden? Und warum vergiftet er Hunde?«
»Das weiß ich nicht.«
Coen rechnete damit, dass Morgenstern schon im Laufe des Nachmittags weniger frohlocken würde. Wahrscheinlich würden die Bullen seinen Namen aus ihren Berichten streichen. Wenn ein Neuling den Lippenstift-Freak unter die Finger bekam, konnte das ihrem Prestige schaden.
Irene, alias die Witwe, alias Mrs. Dalkey, konnte nicht zur Witwe gemacht worden sein, denn sie war nie Ehefrau gewesen. Sie war in einem Findelhaus an der Delancey Street geboren worden, und eine Schwester im Krankenhaus hatte ihr den Namen gegeben. Der Klempner Frankensteen und seine Frau, ein mürrisches Weib, das nicht gewillt war, eine Geburt über sich ergehen zu lassen, hatten Irene adoptiert und sie in Frankensteens Kellerladen gebracht, in dem sie gleichzeitig auch wohnten. Sobald Irene der Sprache mächtig war (mit etwa drei oder vier Jahren), hatte Mrs. Frankensteen das kleine Mädchen in tiefe Verwirrung gestürzt, indem sie ihm die Umstände seiner Geburt erzählte; sie sagte Irene, sie sei ein »Elfenkind«, ein Wechselbalg, der von einer reichen Frau aus einem guten Wohnviertel auf den Treppenstufen des Krankenhauses ausgesetzt worden war, weil die Frau die Scherereien nicht haben wollte, die man als Mutter hatte. So wurde sich Irene ihrer Illegitimität bewusst. In der Schule an der Mulberry Street (fünfzig Jahre später sollte der Chinese dieselbe Schule besuchen) hatte Irene
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