Das Isaac-Quartett
begonnen, sich mit ihrem Doppelleben auseinanderzusetzen: einerseits die Tochter einer reichen Dame, andererseits an die Frankensteens abgeschoben. Ihre Noten wurden schlechter und sie wurde aus der Schule genommen, um als Wäscherin zu arbeiten (Irene war noch unter zwölf). Jungen und ältere Männer befummelten sie in der Wäscherei, zogen ihre Schürzenbändel auf, während sie Damasttischdecken aus einem herrschaftlichen Haus in der Dreiundzwanzigsten Straße einseifte und weiterhin über die Möglichkeiten eines anderen Lebens nachgrübelte.
Mit fünfzehn lief sie mit einem Besenverkäufer davon, der nur einmal in die Wäscherei gekommen war. Der Verkäufer nannte sich Mr. Dalkey. Weil er in Hartsdale, New York, bereits eine Ehefrau und drei Söhne besaß, brachte er Irene in der Columbus Avenue unter, damals eine Ladengegend mit mickrigen Wohnungen für Schreiner und Lebensmittelverkäufer, die sämtliche Herrschaftshäuser in der Nähe des Parks belieferten. Der Verkäufer besuchte seine »Mätresse« etwa zweimal monatlich in der Columbus Avenue. Nach neun Jahren warf sie ihn hinaus und wurde die Witwe Dalkey. Sie war vierundzwanzig und wieder einmal Wäscherin.
Die Witwe hatte der Reihe nach etliche Hunde; Everett, Stanley, Chad, Noah, Raoul und jetzt den Dalmatiner Rickie. Sie nahm sich keine Liebhaber mehr. In den Augen der Witwe waren Männer nur einen Tick zu mickrig, um Ungeheuer zu sein. Der Verkäufer wurde nicht in dieses Schema eingepasst; er ging nicht einmal in die Vorstellung der Witwe von sich selbst ein. Sie dachte an den Mann, der ihre Mutter ruiniert hatte, die reiche Dame, die er genötigt hatte, ihr eigenes Baby zu einem Findelkind zu machen.
Sie sah zu, wie die Gegend schlechter wurde, wie die Lebensmittelhändler nach mehr Geld schrien und die Herrschaftshäuser sich ihre Sklaven nicht mehr leisten konnten. Die Hotels wurden in Sozialamtsasyle umgewandelt, die Lebensmittelläden wichen Haushaltswarengeschäften. Juden krochen von der Bowery herauf, Schwarze zogen ein, dann Puerto Ricaner und zuallerletzt die Cubanos. Mrs. Dalkey widersetzte sich diesen schäbigen Immigranten, so gut sie konnte. Sie kämpfte für hellere Straßenbeleuchtung, regelmäßigen Kirchgang, Platz am Randstein für Hunde, das Anpflanzen von Bäumen und die Rückkehr der weißen Lebensmittelhändler. Bis zu dem Zeitpunkt, als Coen für den Cubano Partei ergriff, hatte sie ihm sein Judentum verzeihen können. Es gefiel ihr, einen Kriminalbeamten im Haus zu haben. Doch von Juden würde sie keine Gefälligkeiten mehr annehmen. Dalkey meinte es ernst. Sie gab Rickie Anweisung, an Coens Tür zu pinkeln.
Am Abend nach der Gefangennahme des Cubano sah sie einen Schwarzen durch ihren Türspion. Er hielt ein Polizeiabzeichen in der Hand. Dalkey geriet in Panik. Sie wünschte, Coen hätte sie nicht im Stich gelassen. Vielleicht konnte sie ihn über die Feuertreppe herbeiholen. Sie sah noch einmal durch das Guckloch. Wenn ein Nigger eine Polizeimarke tragen konnte, waren die Zeiten schlecht. Sie antwortete dem Mann erst, als sie Rickie gegen die Tür gedrückt hatte. »In welcher Angelegenheit kommen Sie? Wer sind Sie und was wollen Sie?«
»Mrs. Dalkey, ich bin ein Detective aus dem Fürsorgehotel am anderen Straßenende. Mein Name ist Alfred. Ich bin für die Sicherheit da drüben zuständig.« Die Erwähnung des Hotels ängstigte Dalkey; sie fragte sich, ob der Cubano einflussreiche Freunde hatte. »Nun, und was erwarten Sie von mir?«
»Meine Bosse, Bodgen, Smith und Liveright, die Gesellschaft, die das Hotel leitet, hat mich gebeten, Ihnen zu danken, Mrs. Dalkey. Sie bekommen eine Belohnung. Können wir uns unterhalten? Drinnen, Mrs. Dalkey?«
Mrs. Dalkey schob den Riegel zurück und öffnete, Rickie zwischen sich und dem Nigger. Alfred konnte den Hund nicht leiden. Er hätte Rickie mit der Anstecknadel seines Abzeichens die Nase zerstochen, wenn er nicht in offizieller Sache hier gewesen wäre. Dalkey führte ihn ins Wohnzimmer, aber sie bot ihm keinen Stuhl an.
»Mrs. Dalkey, ich habe fünfzig Dollar für Sie, wenn Sie versprechen, nicht auszuposaunen, woher der Freak gekommen ist. Sie kennen diese Stadt, Ma’am. Die Leute, die von der Wohlfahrt leben, werden zu uns abgeschoben, und jetzt haben wir sie auf dem Hals. Andernfalls hätten wir eine erstklassige Kundschaft. Dieser Ernesto ist geistig zurückgeblieben. Wir wussten es. Aber macht das der Regierung etwas aus? Die beschützt alle Waschlappen.
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