Das Ist Mein Blut
unzusammenhängenden Fragen schienen sie langsam um ihre Fassung zu bringen. Sie wirkte auf einmal beinahe verzagt. »Nein, der Name sagt mir gar nichts.«
»Warum hast du sie nicht nach dem Anruf gefragt?«, flüsterte Rainer wütend, ehe sich noch die Tür hinter ihnen ganz geschlossen hatte. Eva antwortete überhaupt nicht; sie dachte angestrengt nach, dann bedeutete sie Rainer, ihr zu folgen. Es war noch immer recht kühl, deshalb setzten sie sich wieder ins Auto. »Schauen wir, was sie in der Station über den Tod von Friedrich Weiher herausgefunden haben«, erklärte sie schließlich und ließ den Motor an. Rainer verdrehte die Augen und bemerkte im Konversationston: »Kürzlich habe ich ein Interview mit einem Unternehmer gelesen, der fast nur noch Frauen einstellt, weil die so viel mehr Wert auf Kommunikation legen und so viel teamfähiger sind als Männer.«
»Chauvinist«, gab sie finster zurück.
»Wer, ich oder er?«, fragte Rainer mit Unschuldsmiene.
Aber Eva war schon wieder in Gedanken und ging nicht weiter darauf ein. »Oder meinst du, wir sollten erst zum See fahren und noch mal mit dem Kahlert reden?«, überlegte sie laut. »Irgendwas gefällt mir an der Sache nicht. Die letzte Person, bei der Kronauer sich aufgehalten hat, ist Margarete Hofmann. Dort bekam er versehentlich oder nicht ein Schlafmittel verpasst, jetzt stellt sich heraus, dass er mit dem fürsorglichen Nachbarn der alten Frau am Vortag telefoniert hat. Das ist doch kein Zufall.«
Rainer war ganz nahe daran, etwas Abfälliges über weibliche Intuition zu äußern, aber er hatte das Gefühl, dass sie sich in diesem kritischen Moment ihrer Ermittlungsarbeit keinen Streit leisten konnten, deshalb nahm er sich zusammen, obwohl er viel lieber geflucht hätte. »Okay, okay, Eva, das geht mir alles etwas zu schnell«, erwiderte er – die Worte klangen trotz aller Bemühungen ziemlich streitlustig. »Wir haben gestern endlich eine Verbindung zwischen Kronauer, der Baarer-Weiher und ihrem Vater gefunden. Weiher hat ein mögliches Motiv, beide zum Schweigen zu bringen, das ist mehr als wir bei allen anderen Personen bisher hatten. Beim Kahlert haben wir nichts, gar nichts. Ich verstehe nicht, wieso du dich plötzlich auf ihn versteifst. Kannst du mir das vielleicht erklären? Wir hatten doch einen vernünftigen Plan, und jetzt?«
»Du hast mir gestern den ganzen Tag mit der Margarete Hofmann in den Ohren gelegen«, gab Eva hitzig zurück. »Dabei war völlig klar, dass sie diesen Mord nicht begangen hat, man muss sie nur anschauen. Aber trotzdem hast du mir ständig erzählt, dass die Sache mit dem Anruf wichtig« – sie brach abrupt ab, weil sie die Kurve in ihrem Ärger zu schwungvoll genommen hatte und nun gegensteuern musste, um nicht im Stadtgraben zu landen. Sobald sie die Schlossbrücke passiert hatte, nahm sie den Faden wieder auf. »Und jetzt sagst du, wir haben nichts in Sachen Kahlert. Das ist doch Blödsinn. Wir haben auch einen Anruf – und keine Ahnung, was da wirklich geredet wurde. Wir haben diese unmittelbare Nähe zur Hofmann und den Schlafmitteln – und der Mann hat Zugang zu ihrer Wohnung. Und wir haben Kronauer, der von dem Haus, wo die zwei wohnen, wahrscheinlich direkt zu den Ruinen gewandert ist und dort ermordet wurde. Das sind mir ein bisschen zu viele Zufälle.« Eva hatte sich warmgeredet und unterstrich ihre Ausführungen mit entschiedenen Gesten und wenig Aufmerksamkeit für die Straße vor ihnen, während Rainer im Stillen betete, dass ihnen nicht gerade jetzt ein Lastwagen entgegenkommen möge. Er hob beschwichtigend die Hand. »Schon gut, da ist was dran«, gab er zu. »Aber es bleibt die Tatsache, dass wir auf der einen Seite ein perfektes Motiv hätten, und auf der anderen nur …«
»Mittel und Gelegenheit«, ergänzte Eva prompt.
»Hmpf«, machte Rainer, der nicht zugeben wollte, dass ihre Worte ihn halb überzeugt hatten. Er stierte ein wenig aus dem Seitenfenster, gähnte wieder – die unruhige Nacht saß ihm noch immer in den Gliedern – und meinte schließlich: »Okay, also was meinst du, fahren wir zum Weiher oder zum See?« Er lachte selbst über seine Worte, weil seine Kollegin keine Anstalten machte, den schwachen Wortwitz zu honorieren. Sie dachte einen Moment lang nach, dann verkündete sie entschlossen: »Zum See. Die anderen kümmern sich eh schon darum, mehr über den Weiher herauszufinden. Wir schauen uns derweil diesen Nachbarn mal genauer an.«
»Jetzt fahrn wir übern See«,
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