Das italienische Maedchen
traurig sein leeres Bettchen anstarrte.
Ihr Kind, ein Leben lang behindert. Durch ihre Schuld. Mit ihrem Egoismus hatte sie ihrem Sohn eine lebenslange Bürde mit auf den Weg gegeben. Da sie den Anblick des leeren Bettchens nicht länger ertrug, verließ sie den Raum und rief nach Ella. Als sie keine Antwort erhielt, fiel ihr ein, dass sie bei einer Freundin übernachtete. Rosanna war also ganz allein im Haus.
Sie verspürte das verzweifelte Bedürfnis, mit jemandem zu reden. Sie ging ins Arbeitszimmer, nahm den Telefonhörer und wählte die Nummer von Robertos Hotel. Die Dame an der Rezeption teilte ihr mit, dass Mr Rossini im Theater sei. Rosanna legte auf, überlegte ein paar Sekunden und wählte noch einmal.
»Hallo?«
»Abi, ich bin’s, Rosanna.« Sie erzählte ihrer Freundin schluchzend von Nico.
»Ich weiß nicht, was ich sagen soll«, erklärte Abi schockiert. »Es tut mir sehr leid.«
»Er ist so klein und hilflos. Womit hat er das verdient? Ich habe ihn im Stich gelassen, obwohl Ella mir gesagt hat, dass er krank ist. Vielleicht hätte ich, wenn ich hier gewesen wäre, erkannt, wie ernst es ist, und noch etwas unternehmen können. Abi, wie soll ich mir das je verzeihen?«
»Rosanna, beruhige dich. Nico lebt und wird wieder gesund, das ist das Wichtigste. Er ist immer noch dein kleiner Junge, auch wenn er in Zukunft ein bisschen mehr Hilfe brauchen wird. Er schafft das schon. Außerdem weißt du ja noch gar nicht, wie schlimm es ist. Vielleicht bessert sich sein Gehör im Lauf der Zeit wieder.«
»Ja, vielleicht. Ich muss einfach darum beten. Und Abi, ich habe mich schrecklich mit Luca gestritten.«
»Ich habe gemerkt, dass etwas zwischen euch vorgefallen sein muss.«
»Woher weißt du das?«
»Luca ist vor ein paar Stunden hier bei mir in London aufgekreuzt«, antwortete Abi.
»Oh.« Rosanna biss sich auf die Lippe. »Hat er was erzählt?«
»Du kennst doch Luca. Bis jetzt war ihm kein Wort zu entlocken. Er bleibt über Nacht hier. Aber was mich mehr interessiert: Hast du Roberto schon über die Sache mit Nico informiert?«
»Nein. Er ist gerade im Theater, wird aber bald wieder im Hotel sein.«
»Ich an deiner Stelle würde ihm sagen, dass er seinen Arsch in einen Flieger hieven soll«, erklärte Abi. »Du und Nico, ihr braucht ihn.«
»Stimmt, Abi, aber du weißt ja, wie es ist«, seufzte Rosanna.
»Ja, leider. Soll ich zu dir kommen? Du solltest jetzt nicht allein sein. Ich könnte gleich morgen früh zu dir fahren.«
»Nein. Wenn ich mit Roberto geredet habe, fühle ich mich bestimmt besser, und Ella ist morgen auch wieder da. Trotzdem danke.«
»Okay. Vergiss nicht, was zu essen, Rosanna. Und geh früh schlafen. Du hörst dich ziemlich erschöpft an.«
»Das bin ich tatsächlich. Danke, Abi. Gute Nacht.«
Rosanna legte auf und setzte sich in der Küche an den Tisch. Luca war zu Abi gefahren, weil seine Schwester ihn vor die Tür gesetzt hatte. Luca, der all die Jahre im Café ihres Vaters geschuftet hatte, um ihre Gesangsstunden zahlen zu können, und dann mit ihr nach Mailand gegangen war und sein eigenes Leben hintangestellt hatte.
Roberto …
Luca hatte gesagt, er sollte in dieser Situation bei Frau und Sohn sein … Selbst sie hatte Mühe gehabt, eine Rechtfertigung dafür zu finden, dass er nicht bereit gewesen war, sie zu ihrem kranken Sohn zu begleiten. Er hatte tatsächlich keine Vorstellung gehabt. Und Roberto hatte das Telefon in ihrem Hotelzimmer blockiert, so dass Ella sie nicht erreichen konnte, obwohl er wusste, dass sein Sohn kränkelte.
Tat ein »guter« Mensch so etwas?, fragte Rosanna sich.
Erste Zweifel an ihrer perfekten Liebe regten sich.
Und hatte Luca im Hinblick auf sie selbst recht? War sie tatsächlich von Roberto besessen? Hatte sie sich verändert? Rosanna erinnerte sich schaudernd, wie leicht sie sich hatte überreden lassen, nicht nach Hause zu ihrem Sohn zu fahren, obwohl sie spürte, dass er krank war.
Sie dachte an die Zeit vor Roberto zurück, als sie noch ein unschuldiges Mädchen gewesen war. Paolo fiel ihr ein, der so viel für sie getan hatte. Bei dem Gedanken daran, wie sie ihn wegen Roberto verraten hatte, wurde ihr fast körperlich übel.
Dann war da noch ihre Karriere. Sie bezweifelte, dass es eine andere junge Opernsängerin gab, die so zielstrebig nach ganz oben gewollt hatte. Bis Roberto in ihr Leben getreten war. Sie hatte zugelassen, dass er sie an der Rückkehr nach Mailand hinderte, und sich nach der Heirat in alle seine
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