Das italienische Maedchen
Geschäfte bewundert und über die Preise der Waren in den Schaufenstern gestaunt. Er verließ die Galleria auf der Seite der Scala und hielt inne, um die prächtige Fassade des weltberühmten Opernhauses zu betrachten, in dem er, wie er hoffte, eines Tages seine Schwester würde singen hören.
Am Abend wollte er zur Feier des Tages ein schönes Essen kochen, was bedeutete, dass noch viel zu erledigen war, bevor er Rosanna abholte. Er schluckte die letzten Bissen hinunter, zahlte und machte sich auf den Weg zur Wohnung. Unterwegs entdeckte er einen kleinen Supermarkt, in dem es luftgetrocknete Salami und frisches Gemüse in Holzkisten gab. Dort besorgte er alle Zutaten, die er benötigte, sowie eine Flasche Chianti. Draußen bog er nach rechts in die Via Agnello ab. Als er feststellte, dass er falsch gegangen war, und umkehren wollte, fiel sein Blick auf eine Kirche, deren Turm hinter den Gebäuden hervorlugte.
Luca folgte einer schmalen Gasse in Richtung des Turms, bis er einen kleinen Platz vor der Kirche erreichte, überquerte diesen und blieb vor der Bogentür aus Holz stehen. Rechts daneben war eine kleine Plakette angebracht. Luca hatte Mühe, die fast verblichenen Worte darauf zu entziffern.
» LA CHIESA DELLA BEATA VERGINE MARIA «, las er laut.
Luca sah auf seine Uhr. Er hatte noch eine Stunde Zeit, bevor er Rosanna abholen musste, genug, um einen Rundgang durch die Kirche zu machen. Über der Tür im Vorraum befand sich ein verblasstes Fresko von der Jungfrau Maria mit dem Jesuskind auf dem Arm. Er betrachtete es eine Weile, bevor er die Kirche ganz betrat. Als seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, erkannte er, dass sich niemand darin aufhielt.
Luca blickte zu der hohen gewölbten Decke hinauf, die von Rissen durchzogen war. An einer der Putten an einer Säule fehlte ein Teil der Nase und des Flügels, und der Lack an den Bänken war völlig abgewetzt. Doch trotz ihres schlechten Zustands verblüffte die Kirche Luca durch ihre Schönheit und Wärme.
Seine Schritte hallten durch den Raum. Obwohl niemand in der Kirche war, hatte er das Gefühl, nicht allein zu sein. Weil ihm plötzlich ein wenig schwindlig wurde, setzte er sich in eine der Bänke und stellte die Einkaufstüten zu seinen Füßen ab.
Luca betrachtete die Madonna in der Mitte des Altars. Die blaue Farbe an ihrem Kleid blätterte ab, und an ihren Lippen war nichts mehr von dem ursprünglichen Rot zu sehen. Luca schloss die Augen, bekreuzigte sich und begann zu beten.
Als er die Augen wieder öffnete, fiel ein Sonnenstrahl durch die Buntglasfenster im vorderen Teil der Kirche direkt auf die Statue. Das Licht wurde heller, und darin nahm er verschwommen eine Gestalt wahr, die mit ausgestreckten Armen zu ihm sprach.
Plötzlich war sie verschwunden, und er sah nur noch blendend helles Sonnenlicht.
Luca saß einige Zeit regungslos da. Als er sich schließlich bewegte, fühlte sich sein Körper sehr leicht an. Er erhob sich und ging zum vorderen Teil der Kirche, um vor dem Altar niederzuknien. Freudentränen liefen ihm über die Wangen. Wo früher Unsicherheit gewesen war, erkannte er nun einen Sinn; und wo er zuvor Leere gespürt hatte, empfand er jetzt Liebe.
Er wusste nicht, wie lange er so verharrte, bis er eine Hand auf seiner Schulter spürte. Als er sich umdrehte, blickte er in die klugen braunen Augen eines alten Geistlichen. Luca war sofort klar, dass er alles beobachtet hatte.
»Ich bin Don Edoardo, der parroco von Beata Vergine Maria. Wenn du mit mir sprechen willst: Ich bin jeden Tag von halb zehn Uhr morgens bis mittags da.«
» Grazie , Don Edoardo. Ich würde gern … beichten.«
Der Geistliche nickte, und Luca, der sich immer noch wie schwerelos fühlte, folgte Don Edoardo zum Beichtstuhl.
Als Luca fünfzehn Minuten später aus der Kirche trat, wusste er, dass sein Leben eine neue Wendung genommen hatte.
»Na, wie war’s?«
Rosanna fiel Luca begeistert um den Hals.
»Wunderbar! Und beeindruckend! Dort gibt es so viele schöne Stimmen, Luca. Wie soll ich da mithalten? Manche der Mädchen wirken sehr erwachsen, obwohl sie genauso alt sind wie ich! Und was sie anhaben! Einige von ihnen sind bestimmt sehr reich … und mein Gesangslehrer Professor Poli ist sehr streng, und … Luca …« Rosanna sah ihren Bruder an. »Alles in Ordnung?«
»Ja, mir könnte es nicht besser gehen. Warum fragst du?«
»Du siehst irgendwie anders aus. Ein bisschen blass.«
»Wirklich, piccolina , mir ist …«, Luca versuchte,
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