Das italienische Maedchen
nicht zu brauchen.«
Rosanna nahm einen Schluck Wein. »Du hast also ernsthaftes Interesse an ihm?«
»Ja. Luca ist irgendwie … geheimnisvoll. In ihm schlummern Tiefen, die nur darauf warten, von der richtigen Frau ausgelotet zu werden. Durch den Chor werde ich Gelegenheit haben, ihn öfter zu sehen. Da fällt es mir bestimmt leichter, diese Tiefen zu ergründen.«
Rosanna lachte. »Abi, du hast wirklich nur die Liebe im Kopf.«
»Was sonst?«
»Zum Beispiel deine Zukunft als Opernsängerin.«
»Rosanna, ich mache mir keine Illusionen. Ich weiß, dass ich eine ganz nette Stimme habe, doch dir kann ich nicht das Wasser reichen. Wenn ich Glück habe, schaffe ich’s in den Chor. Ich bin realistisch genug zu wissen, dass ich nicht die nächste Callas werde. Also muss ich mich anders als du, die du mit deiner Kunst verheiratet bist, mit dem Thema Männer beschäftigen, um nicht in Depressionen zu verfallen, wenn ich dich singen höre.« Abi verzog den Mund zu einem gespielten Lächeln.
»Ich finde, du hast eine schöne Stimme. Sonst wärst du nicht in der Schule. Also hör auf, dein Licht unter den Scheffel zu stellen.«
»Ach, Rosanna.« Abi schüttelte den Kopf. »Meine Tante ist ein hohes Tier im Spendenkomitee und mit einem Mann verheiratet, der sowohl die Oper als auch die Schule ausgesprochen großzügig unterstützt. Glaubst du nicht auch, dass ich deswegen in der Schule bin? In drei Jahren, wenn man dich ins Ensemble übernimmt, wird meine Tante ihre Kontakte für mich spielen lassen müssen, um mir einen Platz im hinteren Teil des Chors zu sichern. Und ob ich Mitleid möchte, weiß ich nicht.« Plötzlich wirkte Abi traurig. »Natürlich ist mein Aufenthalt hier in Mailand gut für mein Italienisch, und jedes ordentliche englische Mädchen sollte Zeit im Ausland verbringen, bevor es einen geeigneten Mann heiratet.«
»Dann … bin vielleicht ich merkwürdig.« Rosanna nahm einen Schluck Wein.
»Warum?«
»Weil ich nie an Männer denke.«
»Wirklich?« Abi hob skeptisch eine Augenbraue. »Heute Abend hatte ich den Eindruck, dass du dem Charme von Roberto Rossini auch nicht so ganz widerstehen konntest.«
»Roberto ist etwas anderes.«
»Wieso?« Abi bedachte sie mit einem intensiven Blick.
»Weil … weil«, seufzte Rosanna. »Darüber will ich nicht reden. Schau, da kommen unsere Spaghetti.«
»Nun denn …«, Abi nahm die Gabel in die Hand, um sich über die dampfenden Nudeln herzumachen, »… sag, was du willst, aber mir machst du nichts vor, Rosanna Menici.«
Don Edoardo und Luca begutachteten das Chaos, das sie noch beseitigen mussten.
»Luca, erinnerst du dich an mich?« Eine Hand schlug ihm so fest auf die Schulter, dass Luca zusammenzuckte. Als er sich umdrehte und sah, wem sie gehörte, musste er schlucken.
»Natürlich. Wie geht’s, Roberto?«
»Gut, sehr gut. Die Welt ist klein, nicht wahr? Du lebst auch in Mailand?«
»Ich passe auf meine Schwester auf«, antwortete Luca steif.
»Mit der habe ich vorhin gesprochen. Seit damals ist sie richtig erwachsen geworden«, stellte Roberto fest. »Und wie geht es deiner anderen Schwester, der schönen … äh …« Roberto kratzte sich am Kopf.
»Carlotta. Gut. Wenn du mich jetzt entschuldigen würdest, ich muss Don Edoardo helfen. Gute Nacht.« Luca entfernte sich hastig.
Lucas Abfuhr und die Verunsicherung, die das Wiedersehen mit Rosanna Menici in ihm auslöste, ärgerten Roberto. Um seine Frustration abzureagieren, trat er zu Donatella und legte ihr die Hand auf den knackigen Po.
»Pass auf, jemand könnte uns sehen«, zischte sie und wich zurück, als hätte er die Krätze.
»Aber dein Mann ist doch schon weg, oder? Ich hab ihn vorhin aus der Kirche rausgehen sehen. Und außerdem …« Roberto beugte sich mit einem lasziven Grinsen zu ihr, »… will ich dich. Jetzt.«
Fünfzehn Minuten später gesellte sich Luca zu Don Edoardo, der auf einem Stuhl in der Sakristei saß.
»Gehen Sie nach Hause«, riet er dem Geistlichen. »Hier ist nicht mehr viel zu tun, und Sie sind erschöpft. Ich sperre schon zu.«
»Danke, Luca. Das Angebot nehme ich gern an. Könntest du die bitte einschließen?« Don Edoardo reichte Luca einen Umschlag voller Schecks. »Hier sind sie sicherer als bei mir in der Wohnung. Ich bringe sie gleich morgen früh zur Bank. Das war wirklich ein ungewöhnlicher Abend, was?«
»Ja, stimmt«, pflichtete Luca ihm bei.
»Danke, mein junger Freund. Du weißt, dass ich dich wärmstens empfehlen werde, wenn der
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