Das Jahr auf dem Lande
bevor wir die Hochzeitsreise antreten.«
Bei diesen Worten begannen Beths Augen zu strahlen. Wie hübsch sie ist, dachte Jo. Die Rebellion hat ihr gutgetan, und ich habe gute Arbeit geleistet.
Craig hatte seinen Eltern gesagt, er wolle zehn Tage Urlaub machen, bevor die anstrengenden Wochen begännen, wenn die jungen Lämmer auf die Welt kämen. Sie hatten zugestimmt, wenn auch etwas erstaunt. »Sie werden alles verstehen, wenn sie den Brief finden, den ich in meinem Zimmer hinterlegen werde«, sagte er und versuchte damit sein Gewissen zu beruhigen. Denn es fiel ihm schwer, seine Eltern zu hintergehen, die er sehr liebte. Beth hingegen stand so sehr unter Jos Einfluß, daß sie nichts empfand außer Triumph, gemischt mit der Sorge, ob auch alles klappen werde.
»Vergiß nicht, dich ganz normal zu benehmen«, schärfte Jo ihr ein. »Setz dich einfach aufs Pferd und sag, du willst nur ein wenig ausreiten. Kusine Jane wird bereitstehen.«
»Und deine Eltern? Werden Sie sich nicht über die Pakete wundern? Werden sie dich nicht fragen, warum du nach Avesville fährst?«
»Sicher werden sie sich wundern, aber sie werden keine Fragen stellen. Christine hat Robert und mir immer das Recht zugestanden, Geheimnisse zu haben. Und weil sie mich nie was gefragt hat, habe ich ihr meistens alles erzählt. Adrian kümmert sich genausowenig um mein Privatleben. Es würde ihn nur in Verlegenheit bringen, wenn ich plötzlich anfinge, ihm Geständnisse zu machen.«
Beth sah ein wenig verwirrt drein. Manchmal war es wirklich schwer, Jo zu verstehen.
»Sie ist so anders als wir«, sagte sie zu Lester, als er sie am Abend vor ihrer Hochzeit besuchte und sie nur mühsam das Bedürfnis unterdrückte, sich ihm anzuvertrauen. »Und ihre Eltern sind anders als meine. Sie hat viel mehr Freiheit.«
Er warf ihr einen scharfen Blick zu. »Würdest du dir Eltern wie die Medways wünschen?«
»Ich weiß nicht... Wenn sie mir vertrauen würden — da würde es mir viel schwerer fallen, ihnen etwas zu verheimlichen...« Erschrocken brach sie ab, und seine Augen verengten sich.
»Hör mal, Mädchen, was hat dir diese Jo Medway eingeredet? Ich mache mir schon seit einiger Zeit Gedanken. Diese plötzliche Fügsamkeit, diese Bereitschaft, nach Christchurch zu gehen, wenn dich noch vor vierzehn Tagen keine zehn Pferde dazu bringen konnten? Komm, sei lieb und sag es Onkel Lester.«
Und so erlitt Jo Medway am Mittwochmorgen einen schweren Schock. Sie hatte ihren Eltern gesagt, sie würde mit Beth einen Ausflug machen, und stand nun wartend vor der Haustür. In ihrem Schlafzimmer hing Beths Kleid bereit, damit sie sich rasch umziehen konnte. Plötzlich fuhr ein fremder Wagen in den Hof, und am Steuer saß Lester Severne. Beth hockte mit gesenktem Kopf neben ihm.
»Verdammt«, sagte Jo, »nun hat er also doch gewonnen.« Wortlos verschwand Beth im Haus und in Jos Schlafzimmer, und Lester ging auf Jo zu.
»Irrtum, Sie haben gewonnen. Warum runzeln Sie denn die Stirn? Sie sehen übrigens sehr hübsch aus, wenn Sie wütend sind.«
Jo suchte verzweifelt nach Worten. Wußte er es, oder wußte er es nicht? Wenn nicht, durfte sie nichts verraten. Wenn ja — was tat er dann hier? »Ich — ich weiß nicht, was Sie meinen«, stammelte sie schließlich.
»Natürlich wissen Sie es. Sie brauchen mich nicht anzulügen. Beth hat mir gesagt, daß sie heute heiraten wird. Los, setzen Sie sich in den Fond meines Wagens. Die Braut muß natürlich vom sitzen. Und auf Kusine Jane können wir verzichten.«
Sie zögerte noch immer, war sichtlich verwirrt, und er sagte ungeduldig: »Los, beeilen Sie sich, oder wollen wir den armen Craig warten lassen, mit der Heiratslizenz in der schweißnassen Hand?«
Er machte sich tatsächlich lustig über sie, und Jo wußte nicht recht, ob sie erstaunt oder zornig sein sollte. »Soll das heißen, daß Sie mitkommen und die Hochzeit miterleben wollen?«
»Aber sicher. Zumindest ein Familienmitglied sollte doch wohl dabeisein.«
Jo lächelte widerwillig. »Sie haben also nichts dagegen?«
»Doch, und ich habe auch alles versucht, um Beth davon abzuhalten.«
Jos Lächeln erstarb. »Sie stehen also auf der Seite dieser dummen Snobs, die Beth und Craig auseinanderbringen wollen, weil er ihr nicht ebenbürtig ist?«
»Unsinn! Ich will, daß Beth den Mann heiratet, den sie liebt, und ich bin froh, daß sie sich Craig ausgesucht hat, weil er ein prima Kerl ist. Aber es gefällt mir nicht, daß das Ganze so klammheimlich über die
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