Das Jahr auf dem Lande
Tatsache nicht akzeptieren, daß deine Tochter in die zweite Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts gehört und sich weigert, gesellschaftliche Unterschiede zu akzeptieren, die für uns selbstverständlich sind. Du hättest das Unvermeidliche mit Anstand hinnehmen müssen. Ich werde das jedenfalls tun und dem Mädchen als Hochzeitsgeschenk einen Scheck schicken. Ihr Widerstandsgeist gefällt mir, aber den hat sie wohl nur dieser frechen Josephine Medway zu verdanken.<«
Sie lachten beide, und dann sagte Jo: »Mit Geld können sie Beth nicht zurückkaufen. Mrs. Holden hätte ihr schon vor einem Monat Geld geben und sagen sollen: >Da hast du, und jetzt lauf um dein Leben und heirate deinen jungen Mann!<«
»Seien Sie fair! Großmutter hält immer treu zu ihrer Familie, auch wenn sie glaubt, daß letztere im Unrecht ist. Aber wenn etwas nicht mehr rückgängig gemacht werden kann, dann ist sie bereit, es zu akzeptieren.«
»Aber sie müssen es doch alle akzeptieren, wenn sie halbwegs vernünftig sind.«
Er seufzte. »Muß ich Sie eigentlich andauernd daran erinnern, daß Sie von meiner Familie sprechen? Das ist keine Frage des Verstandes, sondern gewisser Emotionen und alter Vorurteile.«
»Danke für die Belehrung. Ich hoffe, ich trage meine Emotionen nicht auch so auf dem Präsentierteller vor mir her.«
»Nein, dazu sind Sie viel zu modern, in Gefühls- wie auch in anderen Dingen.«
»Damit meinen Sie zweifellos Manieren und Moralbegriffe, und das zwingt mich zu den kühnen Worten: >Kümmern Sie sich um Ihre eigenen verdammten Angelegenheiten!<«
»Gestern waren Sie froh, daß ich das nicht getan habe.« Doch dann lächelte er begütigend. »Heute leiden Sie wohl noch ein bißchen an den Nachwehen und sind wütend auf die ganze Welt. Wollen Sie nicht an was anderes denken? Kommen Sie doch mit mir! Ich muß nach Avesville fahren, und Sie könnten mir helfen, die Wagenketten abzumachen — so wie gestern. Los, holen Sie Ihren Mantel, und kommen Sie mit hinaus in die frische Winterluft. Die wird Sie schon von Ihrer schlechten Laune kurieren. Informieren Sie Ihre Familie, wenn Sie ausgehen, oder ist das hoffnungslos altmodisch?«
Sie mußte lachen, lief ins Haus und rief: »Chris, Lester Severne ist da! Er hat mir von der Schlacht gestern abend erzählt, und jetzt will er es dir auch erzählen!« Als er ihr folgte, fügte sie hinzu: »Nun reicht er mir den Ölzweig zum Zeichen des Friedens. Er will mich nach Avesville mitnehmen und mir ein paar Lämmer zeigen, von denen ich ohnehin nichts verstehe. Aber seine Absichten sind jedenfalls höchst ehrenwert.«
Christine lächelte nachsichtig. »Wie diese jungen Dinger heutzutage reden! Und nun erzählen Sie mir, wie die Familie die stille Hochzeit verkraftet hat.«
Als Lester seinen Bericht beendet hatte, dachte sie: Dieser junge Mann hat was — nicht nur Charme, sondern auch Charakter. Genau die Sorte von Problem, mit dem sich Jo gern herumschlägt... O Gott, ich wünsche ihr so sehr, daß sie ein solches Problem endlich einmal zu ihrer vollen Zufriedenheit löst...
Und dann wandte sie sich lächelnd an Lester und sagte: »Es war sicher ein harter Schlag für die Holdens. Natürlich, sie haben Fehler gemacht und viel aufs Spiel gesetzt. Aber vielleicht sind sie sogar froh, daß die Sache so ausgegangen ist. Es ist nur traurig, daß Beths Eltern nicht dabei waren, als ihre einzige Tochter geheiratet hat. Sie tun mir sehr leid.«
»Das ist ein Standpunkt, den Ihre Tochter sicher nicht akzeptiert.«
»Natürlich nicht. Sie ist jederzeit bereit, ihre Eltern zu kritisieren.«
»Ich weiß. Übrigens bin ich Ihrer Meinung, wenn Sie sagen, daß die Familie Fehler gemacht hat, aber es war trotzdem sehr hart für sie. Zur Zeit bin ich nicht sehr beliebt im Hause Holden, aber was hätte ich denn sonst tun sollen?«
»Sie haben genau das Richtige getan. Zwei Mädchen allein in Kusine Jane — das hätte sicher Ärger gegeben.«
»Wie wahr! Übrigens habe ich Ihrer Tochter davon abgeraten, Beths Eltern schon heute zu besuchen...«
In diesem Augenblick kam Jo herein. Sie hatte die letzten Worte gehört. »Irgendwann gehe ich auf jeden Fall hin. Wir müssen uns ja mal aussprechen, und außerdem muß ich Beths Sachen holen, damit ich die Hütte einigermaßen gemütlich herrichten kann. Ich weiß, Craig leidet sehr darunter, daß Beth die erste Zeit in einem so bescheidenen Rahmen leben muß.«
»Darüber brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen«, sagte Lester. »Mr. Trent
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