Das Jahr auf dem Lande
du dich von Lester trennst, desto besser. Übrigens, unser Mieter in der Stadt wird wahrscheinlich schon einen Monat früher nach England zurückkehren, als er es ursprünglich vorhatte. Wir könnten also einen Monat früher in die Stadt zurückfahren.«
Plötzlich stieg Panik in Jo auf. »Müssen wir wirklich schon abreisen, bevor das Jahr um ist?«
»Ja, wenn unser Mieter früher nach England zurückfliegt. Ich möchte das Haus nicht vier Wochen lang leerstehen lassen. Du weißt doch, ich habe immer solche Angst vor Einbrechern.«
Daß ihr die Probleme ihrer Tochter viel größere Sorgen bereiteten als eventuelle Einbrecher, sagte Christine nicht. Sie war überzeugt, daß Jo endlich einen Mann gefunden hatte, mit dem sie glücklich werden könnte. Sicher, es würde Höhe- und Tiefpunkte geben, wie das bei Jo nicht anders möglich war. Aber Lester würde wohl nur die Höhepunkte registrieren. Andererseits konnte sich Christine ihre Tochter nicht in Rangimarie vorstellen. Jo mit ihren radikalen Ansichten, mit ihrer eigenwilligen Kleidung, Jo mit ihrem sehr modernen Lebensstil und ihrer unbekümmerten Ausdrucksweise in einer solchen Umgebung? Aber das war ein Problem, das Jo allein lösen mußte, und so meinte Christine fröhlich: »So, das war jetzt ein richtig altmodisches Gespräch zwischen Mutter und Tochter. Sag mir Bescheid, wenn du dich entschieden hast, und ich wünsche dir viel Glück. Aber nun wollen wir uns erst einmal um die Versammlung kümmern.«
Der Abend, an dem Adrians Diskussionsrunde stattfinden sollte, war kalt und stürmisch. In einem Dutzend Häuser zogen sich die Männer nach harten Arbeitsstunden um und verwünschten Adrian und seine Versammlung. »Und dabei wollte ich doch hier sein, wenn Daisy kalbt«, sagte der junge Besitzer einer Rinderfarm.
»Verdammtes Wetter«, meinte Cyril Sylvester erschauernd und band seine zweitbeste Krawatte um.
»Ich würde viel lieber daheim bleiben, es ist so gemütlich am Kamin«, sagte eine der Damen, während sie einen Teller mit Biskuits und Kuchen vorbereitete, denn nach der Diskussion wollte man sich natürlich noch ein wenig unterhalten und den neuesten Klatsch austauschen.
Der einzige, der nicht murrte, war Lester Severne. Sicher, er hatte einen anstrengenden Arbeitstag bei seinen Rindern und Schafen verbracht, und er hatte keine große Lust, sich feinzumachen. Aber das tat er in letzter Zeit ja oft genug, wenn er Jo am Feierabend besuchte. Auch heute würde er sie sehen, und wenn er Glück hatte, würde er neben ihr sitzen. Und er mußte sich mit seinem Auto nicht einmal über diese unbeschreibliche Lehmstraße quälen, die noch längst nicht trocken war. Ja, im großen und ganzen freute sich Lester auf die Versammlung.
Und Adrian freute sich auch. Er hatte eine Rede vorbereitet und sie Christine probeweise vorgetragen, die als einzige wußte, wieviel Mühe Adrian immer in seine »kleinen improvisierten Ansprachen« investierte. Er war überzeugt, daß es ihm gelingen würde, die Leute aus ihrem Dornröschenschlaf zu reißen und ihnen den Übergang in ein neues Zeitalter zu erleichtern. Danach konnte er sich beruhigt in sein komfortables Stadthaus zurückziehen, mit dem Bewußtsein, etwas geleistet zu haben.
Alle Farmer hatten sich eingefunden, das Kontingent aus Rangimarie ebenso wie die Bewohner von Eldado, die Männer mit erwartungsvollem Grinsen, die Frauen mit Kuchen- und Sandwichplatten beladen.
Die Familie Medway traf schon eine halbe Stunde vor der vereinbarten Zeit ein, weil Robert gefahren war und nicht Adrian und weil das Auto die Lehmstraße zum erstenmal in diesem Frühling ohne Ketten bewältigen konnte. Kaum hatten sie die Gemeindehalle betreten, als sich auch schon Lester zu ihnen gesellte. Wie selbstverständlich nahm er zwischen Jo und Robert Platz, während Adrian in die Rolle des Gastgebers schlüpfte, sich am Eingang postierte und jeden Diskussionsteilnehmer persönlich begrüßte. Beth und Craig wirkten ein wenig nervös, als sie in die Halle kamen.
Dies war immerhin ihr erster gemeinsamer Auftritt in der Öffentlichkeit.
James Holden begrüßte Adrian überraschend herzlich und sagte so laut, daß es die ganze Versammlung hören konnte: »Meine Mutter geht abends leider nicht mehr aus, aber sie sendet Ihnen ihre besten Wünsche und diese kleine Spende, die der guten Sache dienen soll.« Er überreichte Adrian einen Umschlag, in dem, wie sich später herausstellte, ein Scheck über eine beträchtliche Summe steckte.
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