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Das Jahr der Flut

Das Jahr der Flut

Titel: Das Jahr der Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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alles dankte, aber aus persönlichen Gründen könne ich nicht mehr im Spa arbeiten. Ich hatte noch immer meinen Tagespass für den Besuch bei Amanda, und so reiste ich auf der Stelle ab. Alles war am Ende und kaputt, und es gab keinen sicheren Ort mehr für mich; und wenn ich schon an einem unsicheren Ort sein müsste, dann wenigstens an einem, wo man mich zu schätzen wüsste.
    Als ich zum Scales kam, musste ich die Türsteher erst mal zutexten, weil sie mir nicht glaubten, dass ich wirklich da arbeiten wollte. Aber dann riefen sie endlich Mordis, und er sagte, oh ja, er könne sich an mich erinnern − die kleine Tänzerin. Brenda, nicht? Ich sagte ja, aber er könnte mich ruhig Ren nennen − so wohl fühlte ich mich bereits in seiner Gegenwart. Er fragte, ob ich das mit dem Job wirklich ernst meinte, und ich sagte ja; und er sagte, dass es eine Zusicherungserklärung gebe, weil der Betrieb keine Lust habe, umsonst auszubilden, ob ich also bereit wäre, einen Vertrag zu unterschreiben.
    Ich fragte, ob ich nicht vielleicht zu traurig sei für den Job: Ob die Mädchen vom Charakter her denn nicht eher fröhlich sein müssten? Aber Mordis lächelte mit seinen schwarz glänzenden Ameisenaugen und sagte, als würde er mir den Rücken tätscheln: »Ren. Ren. Alle sind doch wegen allem viel zu traurig.«
     
    54.
     
    Also landete ich am Ende doch im Scales. In gewisser Weise war es auch eine Erleichterung. Ich mochte Mordis gern als Chef, denn bei ihm war wenigstens klar, was ihn glücklich machte. Er gab mir ein Gefühl der Geborgenheit, vielleicht deshalb, weil er für mich noch am ehesten wie ein Vater war: Zeb hatte sich ja in Luft aufgelöst, und mein echter Vater hatte sich nie besonders für mich interessiert, ganz abgesehen davon, dass er tot war.
    Aber Mordis fand, dass ich wirklich was Besonderes war − ich würde Männerträume erfüllen, einschließlich feuchte. Es baute mich wahnsinnig auf, zur Abwechslung mal was zu machen, was ich gut konnte. Was der Job ansonsten so mit sich brachte, mochte ich nicht so sehr, aber das Trapeztanzen mochte ich, weil einen dabei niemand anfassen konnte. Man schwebte in der Luft wie ein Schmetterling. Ich stellte mir immer vor, Jimmy wäre unter den Zuschauern und dass er eigentlich die ganze Zeit nur mich geliebt hatte, nicht Wakulla Price, LyndaLee oder all die anderen, nicht mal Amanda, und dass ich nur für ihn tanzte.
    Was Sinnloseres hätte mir wohl nicht einfallen können.
    *
    Nachdem ich den Job im Scales angefangen hatte, sprach ich mit Amanda nur noch am Telefon. Wegen ihrer Kunstprojekte war sie viel unterwegs; außerdem wollte ich sie nicht persönlich treffen. Ich hätte mich doch nur unwohl gefühlt wegen Jimmy, und sie hätte es mir angemerkt und mir Fragen gestellt, und ich hätte entweder gelogen oder ausgepackt; und wenn ich ausgepackt hätte, wäre sie wütend geworden oder vielleicht nur neugierig, oder sie hätte mich für bescheuert erklärt. Amanda konnte ziemlich hart sein. Eifersucht ist ein sehr destruktives Gefühl, hatte Adam Eins immer gesagt. Sie stammt von unserem Vorfahren, dem sturen Australopithecus, und wir werden sie einfach nicht los. Sie zehrt an einem und stumpft einen gegen das spirituelle Leben ab, und sie führt zu Hassgefühlen und dazu, anderen Menschen wehzutun. Dabei war Amanda die Letzte, der ich hätte wehtun wollen.
    Ich versuchte, mir meine Eifersucht als gelblich braune Wolke vorzustellen, die in mir brodelt, mir aus der Nase steigt wie Rauch und sich in einen Stein verwandelt, der zu Boden fällt. Das funktionierte bis zu einem gewissen Grad. Doch dann wuchs in meiner Vorstellung aus dem Stein eine Pflanze mit giftigen Beeren, und ich konnte nichts dagegen tun.
    *
    Dann machte Amanda mit Jimmy Schluss. Sie erzählte es eher nebenbei. Ihre Landschaftskunst-Installationen namens »Die lebende Welt« hatte sie mir schon geschildert − wie sie riesengroße Wörter aus Bioformen gestaltete, die irgendwann wieder verschwanden, genau wie damals in unserer Kindheit mit den Ameisen und dem Sirup. Jetzt sagte sie: »Inzwischen bin ich bei Wörtern mit vier
    Buchstaben.« Und ich fragte: »Du meinst Schimpfwörter wie Shit?« Und sie lachte und sagte: »Noch schlimmer.« Und ich sagte: »Du meinst das Wort mit F«, und sie sagte: »Nein.
LOVE

    Und ich sagte: »Ach so. Mit Jimmy hat’s also nicht geklappt.« Und sie sagte: »Jimmy nimmt einfach nichts ernst.« Da wusste ich, dass er sie irgendwie betrogen haben musste.
    »Das

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