Das Jahr der Flut
halt schon viel davon gehört«, sagte er.
»Der Laden ist ’ne Legende«, sagte Croze. »Wir haben aber nicht damit gerechnet, dass hier noch Mädchen sind. Wir wollten eigentlich nur mal gucken.«
»Scales sehen und sterben«, sagte Oates. Er gähnte.
»Komm, Oatie«, sagte Amanda. »Wir bringen dich mal ins Bett.«
Wir brachten sie nach oben und schickten sie unter die Klebezonendusche. Und nach dem Duschen sahen sie schon sehr viel sauberer aus. Jeder bekam ein Handtuch, und dann brachten wir sie ins Bett, jeden in ein Zimmer.
Ich kümmerte mich um Oates − ich gab ihm Handtuch und Seife und zeigte ihm sein Bett. Ich hatte ihn so lange nicht gesehen. Als ich von den Gärtnern wegging, war er noch ein kleiner Junge. Ein kleiner ungezogener Bengel. So hatte ich ihn in Erinnerung. Aber süß, schon damals.
»Du bist groß geworden«, sagte ich. Er war fast so groß wie Shackie. Seine blonden Haare waren feucht wie bei einem Hund, der im Wasser gewesen ist.
»Dich fand ich immer am besten«, sagte er. »Mit acht war ich total in dich verknallt.«
»Wusste ich gar nicht«, sagte ich.
»Darf ich dich küssen?«, fragte er. »Ich meine jetzt keinen sexy Kuss.«
»Okay«, sagte ich. Und er küsste mich, total niedlich, neben die Nase.
»Du bist so hübsch«, sagte er. »Lässt du deinen Vogelanzug an?« Er berührte meine Federn, die an meinem Hintern. Dann grinste er schüchtern. Das Grinsen erinnerte mich an Jimmy und wie er am Anfang war, und ich spürte, wie mein Herz schlingerte. Aber ich ging auf Zehenspitzen aus dem Raum.
»Wir könnten sie einsperren«, flüsterte ich Amanda zu, draußen im Flur.
»Wieso das denn?«, fragte Amanda.
»Sie waren im Painball.«
»Na und?«
»Na, die Painballer sind doch alle gestört. Man weiß nie, was sie als Nächstes machen, die rasten plötzlich aus. Außerdem könnten sie sich angesteckt haben. Mit dieser Seuche.«
»Wir haben sie umarmt«, sagte Amanda. »Wir haben sowieso schon ihre ganzen Bakterien. Außerdem sind es ehemalige Gärtner.«
»Das heißt?«
»Das heißt, es sind unsere Freunde.« »Damals ja eigentlich weniger.«
»Jetzt mach mal halblang«, sagte Amanda. »Die drei und ich, wir haben ’ne ganze Menge zusammen gemacht. Warum sollten sie uns was antun?«
»Ich hab keine Lust, Fleischloch für alle zu sein«, sagte ich.
»Das ist aber geschmacklos«, sagte Amanda. »Wenn du vor jemandem Angst haben solltest, dann vor den drei anderen Painballern. Mit Blanco ist nämlich nicht zu spaßen. Die müssen noch irgendwo da draußen sein. Ich zieh mir jetzt wieder meine richtigen Klamotten an.« Und schon schälte sie sich aus dem Flamingokostüm und schlüpfte wieder in ihre Khakisachen.
»Wir sollten die Tür abschließen«, sagte ich.
»Das Schloss ist kaputt«, sagte Amanda.
*
Dann hörten wir auf der Straße Stimmen. Ein Singen und Grölen, wie bei den Männern im Scales, wenn sie einen über den Durst getrunken hatten. Wenn sie stinkbesoffen waren, zugeballert bis obenhin. Wir hörten, wie eine Scheibe zu Bruch ging.
Wir rannten in die Zimmer und weckten unsere Jungs. Sie warfen sich in ihre Klamotten, und wir liefen mit ihnen zum Fenster im zweiten Stock, das auf die Straße rausging. Shackie horchte, bevor er einen vorsichtigen Blick nach draußen warf. »Oh Scheiße«, sagte er.
»Gibt’s hier irgendwo noch eine Tür?«, flüsterte Croze. Trotz Sonnenbrand war er weiß im Gesicht. »Wir müssen hier weg. Sofort.«
Wir nahmen die Hintertreppe und schlüpften aus der Tür zum Hof, wo die Boilermüllcontainer und Altglascontainer standen. Wir hörten, wie die Goldenen im Scales randalierten und alles kurz und klein schlugen, was nicht schon kurz und klein war. Dann hörten wir ein ohrenbetäubendes Klirren: Sie hatten wohl die Regale hinter der Bar demoliert.
Wir quetschten uns durch das Loch im Zaun, rannten über das leere Grundstück in die hinterste Ecke und durch die kleine Gasse. Sie konnten uns unmöglich sehen, aber es fühlte sich trotzdem so an, als könnten sie wie Fernsehmutanten mit ihren Augen sogar Backsteinmauern durchbohren.
Mehrere Blocks weiter fielen wir in Schritttempo. »Vielleicht schnallen sie’s gar nicht«, sagte ich. »Dass wir überhaupt da waren.«
»Die sehen das«, sagte Amanda. »Die dreckigen Teller. Die nassen Handtücher. Die Betten. Einem Bett sieht man an, wenn gerade jemand drin geschlafen hat.«
»Die sind hinter uns her«, sagte Croze. »Keine Frage.«
61.
Wir bogen nach links
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