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Das Jahr der Flut

Das Jahr der Flut

Titel: Das Jahr der Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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Abend fand Toby zu Ehren eine bescheidene Begrüßungsfeier statt. Viel Gewese wurde um das Öffnen eines Glases mit lila Früchten − ihren ersten Holunderbeeren − gemacht, und ein Honigtopf wurde herumgereicht, als wäre er der Heilige Gral.
    Adam Eins hielt eine kleine Rede über glückliche Rettungen. Es ging um den Brand, der aus dem Feuer errettet wurde, und um das verlorene Schaf − davon hatte sie schon in der Kirche gehört −, aber auch andere, ihr unbekannte Rettungsexempel kamen zur Sprache: die umgesiedelte Schnecke, die Birne als Fallobst. Danach aßen sie eine Art Linsenpfannkuchen und eine Speise namens Pilars Pilzpotpourri, gefolgt von Sojabrot mit besagten lila Beeren und Honig.
    Nach ihrer anfänglichen Hochstimmung fühlte sich Toby wie benommen, und ihr war unbehaglich. Wie war sie hierhergekommen, an diesen unwirklichen und irgendwie verstörenden Ort? Was sollte sie hier, unter all diesen freundlichen, aber skurrilen Leuten mit ihrer durchgeknallten Religion und ihren − im Moment zumindest − lila gefärbten Zähnen?
     
    10.
     
    Die ersten paar Wochen bei den Gärtnern boten Toby wenig Trost. Adam Eins gab ihr keine Anweisungen: Er beobachtete sie nur, und sie begriff, dass sie sich bewähren musste. Sie versuchte, sich anzupassen, zu helfen, wo sie gebraucht wurde, aber was die täglichen Arbeiten anging, war sie nicht zu gebrauchen. Sie konnte nicht mit winzigen Stichen nähen, wie es Eva Neun − Nuala − verlangte, und nachdem sie mehrmals in den Salat hineingeblutet hatte, befreite Rebecca sie vom Gemüseschneiden. »Wenn’s aussehen soll wie Rote Bete, dann nehm ich einfach Rote Bete«, sagte sie. Nachdem Toby aus Versehen einige der Artischocken entwurzelt hatte, riet ihr Burt − Adam Dreizehn −, der für den Gemüseanbau zuständig war, vom Unkrautjäten ab. Aber sie könne doch die violetten Bioletten säubern. Es sei eine einfache Arbeit, die keine Vorkenntnisse erforderte. Also erledigte sie das.
    Adam Eins sah, dass sie sich bemühte. »Könnte schlimmer sein mit den Bioletten, nicht wahr?«, sagte er eines Tages zu ihr. »Schließlich sind wir alle überzeugte Vegetarier.« Toby fragte sich, was er damit meinte, bis sie begriff: weniger übelriechend. Mehr nach Kuh als nach Hund.
    Sie brauchte eine Weile, um die Gärtnerhierarchie zu durchschauen. Adam Eins bestand zwar darauf, dass auf der spirituellen Ebene alle Gärtner gleich seien, aber für die materielle Ebene galt das keineswegs: Die Adams und Evas waren höherrangig, wobei ihre Nummern eher über ihr Fachgebiet Aufschluss gaben als über ihre Wichtigkeit. In vielerlei Hinsicht war es wie in einem Kloster, dachte sie. Erst die innere Schule, dann die Laienbrüder. Und Laienschwestern natürlich. Nur ohne Keuschheitsgebot.
    Da sie die Gastfreundschaft der Gärtner in Anspruch nahm, dazu noch unter falschen Vorgaben − sie war ja in dem Sinne keine Konvertitin −, hatte sie das Gefühl, sich durch besonderen Arbeitseinsatz revanchieren zu müssen. Neben dem Säubern der violetten Bioletten nahm sie sich weiterer Aufgaben an. Über die Feuerleiter schaffte sie frische Erde aufs Dach − die Gärtner hatten einen Vorrat, der von diversen verlassenen Baustellen und leeren Grundstücken stammte −, die unter den Kompost und die Nebenprodukte der violetten Bioletten gemischt wurde. Sie kochte Seifenreste zusammen und dekantierte und etikettierte den hausgemachten Essig. Sie schnürte Würmerpäckchen für den Baum-des-Lebens-Naturalienmarkt, sie wischte den Boden des Fitnessraums mit den Ewigen Laufbändern, sie fegte die Schlafkabinen auf dem Stockwerk unter dem Dachgarten aus, wo die alleinstehenden Mitglieder auf Trockenpflanzen-Futons schliefen.
    Einige Monate ging das so weiter, bis Adam Eins vorschlug, sie möge doch ihre anderen Talente zum Einsatz bringen. »Welche anderen Talente?«, fragte Toby.
    »Du hast doch Heilkunde studiert, nicht wahr?«, fragte er. »An der Martha Graham.«
    »Ja, stimmt«, sagte Toby. Adam Eins zu fragen, woher er das wusste, brachte wahrscheinlich wenig. Er wusste nun mal so einiges.
    Also begann sie, Kräuterlotionen und Cremes zusammenzumischen. Viel Schneiden musste sie dabei nicht, und Mörser und Stößel führte sie mit starker Hand. Bald darauf wurde sie von Adam Eins gebeten, ihre Fertigkeiten mit den Kindern zu teilen, also kamen zu ihren Aufgaben mehrere Unterrichtsstunden pro Tag hinzu.
    Inzwischen hatte sie sich an die dunklen sackartigen Gewänder der Frauen

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