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Das Jahr der Flut

Das Jahr der Flut

Titel: Das Jahr der Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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Bohnen, brütend in der unbarmherzigen Sonne.
    Der Aufmarsch stellte sich vor dem GeheimBurger-Grill auf. Eine Menschenmenge hatte sich versammelt und rüstete sich zum Spott. »Liebe Freunde«, rief der Anführer in die Menge. Lange wird seine Predigt nicht dauern, dachte Toby, dafür werden die Sewage Lagooner schon sorgen. »Meine lieben Freunde. Mein Name ist Adam Eins. Auch ich war einmal ein materialistischer und atheistischer Fleischesser. Genau wie ihr habe ich den Menschen für das Maß aller Dinge gehalten.«
    »Halt die Fresse, du Ökosau«, brüllte jemand. Adam Eins schenkte ihm keine Beachtung. »Tatsächlich, liebe Freunde, habe ich das Messen selbst für das Maß aller Dinge gehalten. Ja − ich war Wissenschaftler. Ich habe Epidemien studiert, ich habe Krankheiten und sterbende Tiere gezählt und auch Menschen, als wären sie eine Handvoll Kieselsteine. Ich habe geglaubt, nur Zahlen könnten eine wahre Beschreibung der Realität liefern. Eines Tages jedoch −«
    »Verpiss dich, du Wichser!«
    »Eines Tages jedoch sah ich, während ich genau dort stand, wo ihr jetzt steht, und einen GeheimBurger verschlang − ja, verschlang! − und wie die Made im Speck darin schwelgte, ein helles Licht. Ich hörte eine gewaltige Stimme. Und diese Stimme sagte −«
    »Sie sagte: Leck mich am Arsch!«
    »Sie sagte: Verschone deine Mitgeschöpfe! Iss niemals etwas mit einem Gesicht! Töte nicht deine eigene Seele! Und dann …«
    Toby spürte die Menge, die kaum noch zu halten war. Sie würden diesen armen Dummkopf in den Boden stampfen und die kleinen Gärtnerkinder gleich mit. »Gehen Sie!«, sagte sie so laut wie möglich.
    Adam Eins schenkte ihr eine vornehme kleine Verbeugung, ein gütiges Lächeln. »Mein Kind«, sagte er, »weißt du überhaupt, was du da verkaufst? Du würdest doch auch nicht deine eigenen Verwandten essen.«
    »Würde ich wohl«, sagte Toby. »Wenn ich hungrig genug wäre. Bitte, gehen Sie jetzt!«
    »Ich sehe, du hast schwere Zeiten durchgemacht, mein Kind«, sagte Adam Eins. »Du hast dir eine empfindungslose, harte Schale zugelegt. Aber diese harte Schale ist nicht dein wahres Ich. In dieser Schale wohnt ein warmes und friedliebendes Herz und eine gütige Seele …«
    Das mit der Schale stimmte; sie wusste, dass sie hart geworden war. Doch ihre Schale war ihre Rüstung: Ohne sie würde sie zerquetscht.
    »Wirst du von diesem Arschloch belästigt?«, sagte Blanco. Er hatte sich hinter ihr aufgebaut, wie es seine Art war. Er legte ihr die Hand um die Taille, und auch ohne hinzuschauen, sah sie die Venen, die Arterien. Rohes Fleisch.
    »Schon gut«, sagte Toby. »Er ist harmlos.«
    Adam Eins machte keine Anstalten, sich zu entfernen. Er fuhr fort, als hätte niemand gesprochen. »Du sehnst dich danach, Gutes zu tun in dieser Welt, mein Kind −«
    »Ich bin nicht Ihr Kind«, sagte Toby. Sie war sich mehr als bewusst, dass sie niemandes Kind war, jedenfalls nicht mehr.
    »Jeder ist des anderen Kind«, sagte Adam Eins mit traurigem
    Blick.
    »Verschwinde«, sagte Blanco. »Ich mach dich sonst alle.«
    »Gehen Sie jetzt bitte, sonst gibt’s Verletzte«, sagte Toby so eindringlich wie möglich. Der Mann hatte keine Angst. Sie senkte die Stimme, zischte ihn an: »Verpiss dich! Auf der Stelle!«
    »Du bist es, die verletzt werden wird«, sagte Adam Eins. »Jeden Tag, den du hier stehst und das verstümmelte Fleisch von Gottes geliebten Kreaturen verkaufst, verletzt es dich mehr. Komm mit uns, meine Liebe − wir sind deine Freunde, wir haben einen Platz für dich.«
    »Nimm deine Dreckspfoten von meinem Personal, du perverse Sau!«, brüllte Blanco.
    »Fühlst du dich von mir belästigt, mein Kind?«, fragte Adam Eins, ohne ihn zu beachten. »Ich habe gewiss nicht vor …«
    Blanco kam hinter der Bude hervor und holte aus, doch Adam Eins schien Angriffe gewohnt zu sein: Er trat einen Schritt zur Seite, und Blanco schoss mitten in die singende Kindergruppe, wobei er einige umriss und selbst hinfiel. Ein jugendlicher Linthead schlug ihm daraufhin eine leere Flasche über den Kopf − Blanco war in der Gegend nicht allzu beliebt −, und mit blutendem Kopf sank er zu Boden.
    Toby rannte um die Grillbude herum nach vorne. Ihr erster Impuls war, ihm aufzuhelfen, ansonsten würde es nachher dicken Ärger geben. Eine Horde Redfish-Plebsratten war auf ihn losgegangen, und einige Asian Fusions machten sich an seinen Schuhen zu schaffen. Die Menge drängte sich um ihn herum, doch er rappelte sich mühsam

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