Das Jahr der Flut
Golfgreens-Grünen stellten kunsthandwerkliche Handtaschen aus zusammengerollten Zeitschriftenseiten her und züchteten am Rand ihres Golfplatzes Kohl. Na super, sagte Bernice, die besprühen ihren Rasen trotzdem mit Chemie, also werden sie mit den mickrigen paar Kohlköpfen kaum ihre Seele retten. Bernice wurde immer gottesfürchtiger. Vielleicht als Ausgleich dafür, dass sie keine richtigen Freunde hatte.
Sehr viele hippe Leute aus den besseren Gegenden kamen zum Baum des Lebens. Reiche Leute aus den privaten SolarSpace-Wohnanlagen, protzige Fernsider, sogar Konzernkomplexler kamen hier raus, um eine harmlose Runde Plebsluft zu schnuppern. Sie behaupteten immer, unser Gemüse sei besser als das aus den Supermärkten, besser sogar als das von den sogenannten Biobauernmärkten, wo, wie Amanda sagte, Typen in Farmerklamotten das Zeug aus den Großlagern in Ethno-Körbe warfen und die Preise erhöhten, also auch wenn Bio draufstand, musste das nichts heißen. Aber die Gärtnerprodukte waren echt. Sie stanken vor Echtheit: Schon möglich, dass die Gärtner fanatisch und belustigend skurril waren, aber zumindest ließen sie nichts auf sich kommen. Das sagten die Leute zueinander, während ich ihren Einkauf in recyceltes Plastik packte.
Das Schlimmste am Baum des Lebens war, dass wir Helfer unsere Jungbionierhalstücher umbinden mussten. Das war extrem entwürdigend, weil die hippen Leute oft ihre Kinder dabeihatten. Die hatten dann ihre beschrifteten Baseballkappen auf, starrten uns mit unseren Halstüchern und tristen Klamotten an, als wären wir die letzten Außerirdischen, und tuschelten und lachten. Ich versuchte, sie immer zu ignorieren. Bernice dagegen stampfte auf sie zu und fragte: »Was gibt’s denn da zu glotzen?« Amandas Methode war eleganter. Sie lächelte die Kinder an, nahm ihre Glasscherbe mit dem Klebeband, ritzte sich einen Strich in den Unterarm und leckte das Blut ab. Danach fuhr sie sich mit der blutigen Zunge über die Lippen und streckte ihnen den Arm entgegen, und sie wichen ziemlich schnell zurück. Wenn man in Ruhe gelassen werden wolle, sagte Amanda, müsse man sich möglichst verrückt benehmen.
Wir drei wurden zum Helfen an den Pilzstand geschickt. Für den waren meistens Toby und Pilar zuständig, aber Pilar ging es nicht gut, also war nur Toby da. Die war streng: Man musste aufrecht stehen und besonders höflich sein.
Ich beobachtete die reichen Leute beim Vorbeigehen. Manche hatten pastellfarbene Jeans und Sandalen an, aber andere waren von Kopf bis Fuß in teures Leder gehüllt − Riemchenpumps aus Krokodil, Leoparden-Minis, Oryx-Handtaschen. Die hatten immer diesen abwehrenden Blick, der sagte:
Ich hab das Tier ja nicht getötet, soll man’s etwa verschwenden?
Ich fragte mich, wie es wohl war, solche Sache zu tragen − die Haut eines anderen Tiers auf der eigenen zu spüren.
Manche hatten diese neuen Mo’Hairs, die gerade auf den Markt gekommen waren − silbern, pink, blau. Amanda erzählte von Mo’Hair-Läden in Sewage Lagoon, wo die Mädchen angeblich hineingelockt wurden, und kaum saß man im Transplantationsraum, kriegte man eins über, und wenn man wieder zu sich kam, hätte man nicht nur andere Haare, sondern auch andere Fingerabdrücke, und dann würde man in ein Nacktlokal gesperrt und müsste Naturarbeit machen, und selbst wenn einem die Flucht gelang, würde man nie wieder nachweisen können, wer man war, weil man keinen Ausweis mehr hatte. Das hörte sich echt extrem an. Und Amanda erzählte öfters Lügen. Aber wir hatten einen Pakt geschlossen, einander niemals anzulügen. Also, dachte ich, ist an der Geschichte vielleicht doch was dran.
*
Nachdem wir eine Stunde lang zusammen mit Toby Pilze verkauft hatten, wurden wir an Nualas Stand geschickt, um beim Essigverkauf zu helfen. Inzwischen langweilten wir uns und waren albern, und jedes Mal, wenn Nuala sich bückte, um neuen Essig aus der Kiste unter der Theke zu holen, machten Amanda und ich kleine Arschwackel-Bewegungen und kicherten gehässig in uns hinein. Bernice wurde röter und röter im Gesicht, weil sie nicht eingeweiht wurde. Mir war klar, wie gemein das war, aber ich konnte irgendwie nicht damit aufhören.
Dann musste Amanda auf die violette Porta-Biolette, und Nua-la sagte, sie müsse mal kurz mit Burt sprechen, der am Nebenstand Seife in Blättern verkaufte. Kaum dass Nuala uns den Rücken gekehrt hatte, packte mich Bernice am Arm und verdrehte ihn in entgegengesetzte Richtung. »Sag’s mir!«,
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