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Das Jahr der Flut

Das Jahr der Flut

Titel: Das Jahr der Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Atwood
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werd Toby bitten, vorbeizuschauen«, sagte Zeb. »Oder Pilar. Die päppeln dich schon wieder auf.«
    »Würdest du das tun?« Gequältes Lächeln.
    »Kein Problem«, sagte Zeb. Lucerne hatte ihr Taubenei nicht gegessen, also aß er es. Es hatte sowieso nur die Größe einer Pflaume.
    Die Bohnen stammten aus dem Garten, aber die Taubeneier kamen von unserem eigenen Dach. Pflanzen hatten wir da oben keine, weil Adam Eins sagte, die Oberfläche sei ungeeignet, aber wir hatten Tauben. Zeb lockte sie mit Krümeln an, ganz leise, damit sie sich sicher fühlten. Dann legten sie ihre Eier, und er raubte ihre Nester aus. Tauben waren keine gefährdete Art, sagte er, also sprach nichts dagegen.
    Adam Eins sagte, die Eier wären potenzielle Geschöpfe, aber eben nur potenziell: Eine Nuss war noch kein Baum. Hatten Eier eine Seele? Nein, aber eine potenzielle Seele. Insofern war Eieressen unter den Gärtnern zwar nicht gerade verbreitet, aber es wurde auch nicht verteufelt. Bei dem Ei selbst musste man sich nicht entschuldigen, bevor man sich sein Eiweiß einverleibte, aber bei der Muttertaube schon, und man musste ihr für die Gabe danken. Ich hatte allerdings meine Zweifel, ob Zeb sich lange mit Entschuldigungen aufhielt. Bestimmt verspeiste er heimlich auch mal die ein oder andere Muttertaube.
    Amanda aß ein Taubenei. Und ich auch. Zeb aß drei plus das von Lucerne. Er müsse mehr essen, weil er größer sei, sagte Lucerne: Wenn wir so viel essen würden wie er, würden wir dick werden.
    »Also bis später, die jungen Kriegerinnen. Murkst mir keinen ab«, sagte Zeb, als wir aus der Tür gingen. Er hatte von Amandas Tricks mit dem Knie-in-den-Unterleib-Rammen und dem Augeneindrücken gehört und von ihrer Glasscherbe mit dem Klebeband; er machte sich immer lustig darüber.
     
    26.
     
    Wie immer holten wir Bernice im Buenavista-Haus ab, um zusammen zur Schule zu laufen. Amanda und ich hatten eigentlich keine Lust mehr dazu, aber wir wussten, dass es Ärger geben würde mit Adam Eins wegen ungärtnerischen Verhaltens. Bernice mochte Amanda zwar immer noch nicht besonders, aber richtig hassen wäre zu viel gesagt. Sie nahm sich vor ihr in Acht wie vor manchen Tieren, einem Vogel mit sehr spitzem Schnabel zum Beispiel. Bernice war gemein, aber Amanda war hart, und das ist was anderes.
    Die Dinge waren jetzt so, wie sie waren, das heißt, die Freundschaft zwischen Bernice und mir war abgekühlt. Deswegen hatte ich in ihrer Nähe immer ein ungutes Gefühl: irgendwie ein schlechtes Gewissen. Bernice merkte das, und immer fiel ihr etwas ein, um mein schlechtes Gewissen gegen Amanda zu richten.
    Dennoch, von außen sah alles ganz friedlich aus. Wir liefen zu dritt zur Schule und zurück, halfen bei der Hausarbeit oder gingen auf Jungbionierversammlungen. Solche Sachen. Aber Bernice kam nie bei uns in der Käsefabrik vorbei, und wir blieben nach der Schule lieber unter uns.
    *
    Auf dem Weg zu Bernice sagte Amanda: »Ich hab was rausgefunden.«
    »Was denn?«, fragte ich.
    »Ich weiß, wo Burt sich abends zwischen fünf und sechs aufhält, zweimal die Woche.«
    »Burt die Bockwurst? Wen interessiert’s?«, sagte ich. Wir verachteten ihn beide, weil er ein total peinlicher Achselhöhlengrabscher war.
    »Nein. Hör zu. Er und Nuala treffen sich da«, sagte Amanda.
    »Ohne Scheiß? Wo denn?« Nuala flirtete gern, aber mit allen Männern. Es war eben ihre Art, genau wie es Tobys Art war, einen mit ihrem steinernen Blick anzustarren.
    »Die beiden gehen zusammen in den Essigraum, wenn da eigentlich keiner was zu suchen hat.«
    »Ist nicht wahr!«, sagte ich. »Echt?« Ich wusste, dass es um Sex ging − wenn wir uns so zum Spaß unterhielten, ging es meistens darum. Sex hieß bei den Gärtnern immer nur »der Fortpflanzungsakt« und war angeblich ein Thema, über das man sich nicht lustig machen durfte, aber Amanda machte sich trotzdem lustig. Man konnte darüber kichern oder Tauschhandel damit treiben oder beides, aber ganz bestimmt keinen Respekt davor haben.
    »Kein Wunder, dass sie diesen Hängearsch hat«, sagte Amanda. »Der ist überstrapaziert. Genau wie Veenas altes Sofa − total ausgeleiert.«
    »Ich glaub dir nicht!«, sagte ich. »Das würde die niemals tun! Doch nicht mit Burt!«
    »Ich schwör’s dir und spuck drauf!«, sagte Amanda. Sie spuckte: Spucken konnte sie gut. »Wozu soll die sonst mit dem da reingehen?«
    Wir Gärtnerkinder dachten uns oft ungezogene Geschichten über das Sexleben der Adams und Evas aus. Wenn

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