Das Jahr der Kriesen
wieder wie ein Kind, sagte sich Turpin, ein Kind, das Furcht und Freude zugleich erfährt. Habe so etwas seit neunzig Jahren nicht mehr gemacht. Die Röhrenwand schimmerte vor ihm. »Sind Sie irgendwo da drinnen, Frank?« rief er, während er sich schneidig voranschob. Der Schimmer glitt über ihm weg, und jetzt sah er einen blauen Himmel und am Horizont eine Prozession großer Bäume.
Woodbine ergriff Turpin an den Schultern, hob ihn hoch und stellte ihn auf dem grasbedeckten Boden aufrecht auf die Füße. Die Luft roch nach sonderbaren Dingen. Leon Turpin atmete verblüfft ein. Die Düfte waren alt und vertraut, aber er konnte sie nicht einordnen. Ich habe dies hier schon einmal erlebt, irgendwann in meiner Kindheit, sagte er sich. Damals, im zwanzigsten Jahrhundert. Ja, dies ist bestimmt die Erde – nichts anderes könnte so riechen. Dies ist kein anderer, fremder Planet. Aber war das gut oder schlecht? Er wußte es nicht.
Woodbine bückte sich, pflückte eine dürre, weiße Blume. »Hier, eine Trompetenblume«, sagte er zu Turpin.
Vor ihnen saßen TE-Raumingenieure an ihren mobilen Hochfrequenz-Empfangsdetektoren. Sie erhielten offenbar Übertragungen von dem Queen-Bee-Satelliten irgendwo über ihnen. Der Detektor des Haupt-Vans drehte sich langsam, eine eigenartige Präsenz in dieser idyllischen Landschaft.
»Wir sind besonders an dem interessiert, was er von der dunklen Seite bekommt«, sagte Don Stanley. »Da ist er jetzt.«
Woodbine blickte auf ihn herunter und sagte: »Lichter, meinen Sie?«
»Ja«, nickte Stanley.
»Lichter – von was?« fragte Turpin.
»Wenn es Lichter gibt«, sagte Stanley geduldig, »irgendwo, egal wie viele, so heißt das, daß diese Welt von einer intelligenten Rasse bewohnt ist.« Er fügte hinzu: »Er hat bereits Straßen entdeckt, auf der Sonnenseite. Oder zumindest Dinge, die wie Straßen aussehen. Der QB ist keineswegs der beste Beobachtungssatellit – eigentlich haben wir ihn ausgewählt, weil er am leichtesten und schnellsten in den Orbit zu bringen ist. Wir werden ihm natürlich in ein paar Tagen kompliziertere Geräte folgen lassen.«
»Wenn hier eine entwickelte Gesellschaft existiert«, sagte Woodbine, »wird sie anthropologisch von ungeheuerer Wichtigkeit sein. Aber es wird Jim Briskin weh tun. Seine ganze Rede baute auf der unbestätigten Prämisse, daß dieser Planet leer ist und für die Besiedlung zur Verfügung steht. Ich weiß nicht, worauf wir hoffen sollen. Ich persönlich würde es gern sehen, daß die Flakkies wiederbelebt und hierhergebracht werden, aber...«
»Ja«, pflichtete Turpin bei. »Wir haben vor Jahrzehnten ein Vermögen in diese Sprachübersetzungsmaschinen gesteckt, und nicht ein Cent hat sich bezahlt gemacht. Woodbine, wo sind wir Ihrer Meinung nach?«
»Das müssen Sie selbst feststellen, Turpin«, sagte Woodbine mit einem krampfartigen Grinsen. »Schließlich haben Ihre Leute den Porter gebaut. Eigentlich habt ihr ihn erfunden. Ich arbeite nicht mit einer Voraus-Theorie, ich bin ein Datentyp. Ich muß eine ganze Menge Informationen sammeln, bevor ich mir vorstellen kann, was los ist.« Er gestikulierte. »Wie diese Leute, die uns hierher gefolgt sind.« Hinter ihnen waren die Medienberichterstatter erschienen, noch immer schwer mit ihrer Aufgabe beschäftigt, alles in Sichtweite unter die Lupe zu nehmen. Sie schienen angesichts dessen, was sie bisher gefunden hatten, nicht sonderlich von Ehrfurcht ergriffen zu sein.
»Mich interessieren die Flakkies nicht«, sagte Turpin freimütig. Er sah keinen Grund, seine persönlichen Überzeugungen zu verstecken. »Und mich interessiert bestimmt nicht, was mit diesem Politiker passiert, wie immer er auch heißt. Briskett oder Briskman – Sie wissen, der Bursche, der die Rede gehalten hat. Das ist nicht mein Problem. Ich muß mich um andere Dinge kümmern. Zum Beispiel...« Er brach ab, weil ein Kommunikationssystem-Ingenieur das Ortungsgerät, das den Satelliten auf dem Monitor hatte, vorübergehend verließ und auf sie zukam. »Vielleicht kann uns dieser Mann etwas sagen«, sagte Turpin. »Aber eines will ich noch sagen: Wenn ich mich hier umschaue, dann sehe ich nur Gras und Bäume – falls es also bewohnt ist, so haben die Einwohner gewiß nicht die volle Kontrolle über ihre Umwelt. Das könnte Platz für eine begrenzte Besiedlung lassen.«
Der Komsys-Ingenieur sagte respektvoll: »Mr. Turpin, Sie kennen mich nicht, aber ich bin Bascolm Howard. Ich arbeite für Sie, und das schon seit
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