Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Jahr der Maus

Das Jahr der Maus

Titel: Das Jahr der Maus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
Vom Netzwerk:
entfernt und unversehrt jenseits des Golden State Freeway lag. Die Dämme erfüllten ihren Zweck, hatten aber die unangenehme Nebenwirkung, daß sie die Zone hinter häßlichen und unpassierbaren Barrieren aus massivem schwarzem Basalt einmauerten.
    Die heutige Route ist für Mattison und Co. eine Art Sightseeing-Tour durch die gesamte Zone. Freeway-Fahrten sind ein Witz in diesen Gebieten, sobald man über den Rosemead Boulevard hinaus nach Osten kommt, und da es auch auf den Nebenstraßen überall neue, von der Lava geschaffene Sackgassen gibt, muß man wirklich findig sein und für einen kurzen Trip wie den von Arcadia nach San Dimas – früher ein Katzensprung über den Freeway 210 – permanent umkehren und Umwege machen. Jetzt geht es über die Santa Anita zurück, um die neuen Ausbrüche auf der Duarte Road herum, dann über die Myrtle in Monrovia wieder auf den 210 und auf dem Freeway so weit nach Osten wie möglich, bevor er von der noch nicht weggeräumten Lava des letzten Monats blockiert wird, also nicht sehr weit; dann kreuz und quer auf Nebenstraßen, hierhin und dorthin, von Norden nach Süden und wieder nach Norden, durch Städte wie Duarte, Azusa, Covina und Glendora, wohin ein Angeleno normalerweise in einer Million Jahre nicht fahren würde, um schließlich zu der ebenso unbekannten Gemeinde San Dimas zu gelangen, die von Pomona aus eigentlich gleich um die Ecke ist.
    Die Landschaft ähnelt immer mehr einer Art Hölle, je weiter sie nach Osten kommen.
    »Seht euch die ganze Scheiße bloß an«, sagt Nicky Herzog immer wieder. »Seht sie euch an! Das ist total hoffnungslos, sag ich euch. Wir sollten aufgeben und nach Seattle ziehen, verdammt noch mal.«
    »Da regnet’s die ganze Zeit«, sagt Paul Foust.
    »Ist dir Lava lieber als Regen? Findest du’s gut, wenn diese beschissene schwarze Asche vom Himmel fällt?«
    »Wir geben nicht auf«, sagt Nadine Doheny verträumt. »Wir machen immer weiter. Wir sind dankbar für alles, was wir haben.«
    »Dankbar für die Vulkane«, sagt Herzog baß erstaunt. »Dankbar für die Asche. Ist das dein Ernst?«
    »Laß sie in Ruhe«, warnt ihn Mattison. Nadines Äußerungen bestehen größtenteils aus Heilungsmantras, und das nervt den schnoddrigen, scharfzüngigen Herzog. Aber Doheny hat recht, und Herzog liegt falsch, so clever er ist. Wir geben nicht auf. Wir laufen nicht weg. Wir halten stand und kämpfen, kämpfen, kämpfen.
    In ihrer Leblosigkeit, aber nicht allein deswegen, bietet die Zone einen schrecklichen Anblick, und Mattison hat sich selbst nach all dieser Zeit noch nicht an ihre Scheußlichkeit gewöhnt. Überall Aschehaufen, die den Eindruck erwecken, als sei schwarzer Schnee über dem Gebiet niedergegangen, außerdem kleine Krusten ausgekühlter Lava – nicht ganz so dicht gestreut, aber trotzdem unmöglich zu übersehen –, die wie ein dunkler Pilz an Häusern und Bürgersteigen kleben. Leichter Bimssteinstaub hängt in der Luft. Der Himmel ist weiß von dem gesammeltem Rauch, den der Wind noch nicht in Richtung Riverside wegblasen konnte. Wo große Brände gewütet haben, ist die Szenerie von ganzen Ruinenfeldern zernarbt.
    Der Transporter muß alle möglichen kleineren Hindernisse umfahren: Auswurfkegel, kleine Hügel aus Tephra, Lapilli, Schlacke, Lavabomben und anderen ausgeworfenen vulkanischen Müll, und so weiter, und so weiter. Hin und wieder kommen sie an einer aktiven Fumarole vorbei, die mit Begeisterung Rauch speit. Wie Mattison weiß, häufen sich um sie herum knöcheltief tote Insekten, die glühendheißen Dampfwolken oder giftigen Gasen zum Opfer gefallen sind. Die Fumarolen sind überdies von breiten Streifen aus Schlamm umgeben, der irgendwie um ihre Ränder herum aufgeworfen worden ist. Dieser Schlamm ist häufig sehr bunt, grün oder pink oder rot von Aluminiumablagerungen, aber auch leuchtend gelb, wo er reich an Schwefelkristallen ist. Manchmal ist das Gelb von orangefarbenen oder blauen Streifen durchzogen, und dort, wo der Schlamm sehr blau ist, fleckt ihn da und dort eine äußerst dekorative Kruste aus sattem Kastanienbraun. Mattison weiß nicht, welche Chemikalien diese Effekte hervorrufen.
    »Es ist wie ein Märchenland, nicht?« ruft Mary Maude Gulliver plötzlich aus. »Wie aus einem Buch von Tolkien!«
    »Verrückte Nutte«, knurrt Lenny Prochaska. »Ich würde dir gerne ’n Märchenland geben, du Nutte.«
    Mattison bringt ihn mit einem ›Pst‹ zum Schweigen. Er lächelt Mary Maude zu. Schon richtig, es ist

Weitere Kostenlose Bücher