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Das Jahr der Maus

Das Jahr der Maus

Titel: Das Jahr der Maus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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zwischen einem kreisförmigen und einem elliptischen Querschnitt, während sie von der Krümmung gedehnt und wieder gestaucht wurden. Cordelia erzeugte ein Vergrößerungsglas und folgte ihnen ›hinein‹: vorwärts in der Zeit, in Richtung Singularität. Laut nachdenkend meinte sie: »Wenn die Umlaufperioden eine geometrische Reihe bilden, sollte die Anzahl der Umlaufbahnen unbegrenzt sein, die man vor der Singularität einfügen kann. Und die Wellenlänge ist im Verhältnis zur Größe der Umlaufbahn blauverschoben, das hieße, Diffraktionseffekte nehmen niemals überhand. Warum sollten Sie dann keine infiniten Berechnungen durchführen können?«
    Vikram formulierte seine Antwort vorsichtig. »Zunächst, sobald kollidierende Photone anfangen, Teilchen-Antiteilchen-Paare zu bilden, wird es, wenn die Partikel um soviel langsamer als das Licht werden, für jede Teilchenart einen Energiebereich geben, in dem die Impulse unsauber werden. Wir denken, wir haben die Impulse sicher genug gestaltet, daß die Daten keinen Schaden erleiden, aber nur ein unbekanntes festes Teilchen würde ausreichen, um den gesamten Datenstrom in Kauderwelsch zu verwandeln.«
    Hoffnung blitzte in Cordelias Augen auf, als sie zu ihm aufblickte: »Und wenn es keine unbekannten Teilchen gibt?«
    Vikram zuckte die Achseln. »In Kumars Modell ist die Zeit gequantelt, daher kann die Frequenz der Strahlen nicht unbegrenzt ansteigen. Und die meisten alternativen Theorien kommen ebenfalls zu dem Schluß, diese Anordnung müsse aus dem einen oder anderen Grund irgendwann zusammenbrechen. Ich hoffe nur, sie bricht so langsam zusammen, daß wir verstehen warum, bevor wir überhaupt nichts mehr verstehen.« Er lachte auf und fuhr fort: »Lassen Sie doch den Kopf nicht so hängen! Es wird … wie der Tod eines Astes sein. Und vielleicht bekommen wir für kurze Zeit Einblicke, die wir außerhalb des Loches niemals auch nur erahnen könnten.«
    »Aber Sie werden doch nichts damit anfangen können«, begehrte Cordelia auf. »Oder sie anderen mitteilen können.«
    »Ach, Technik und Ruhm.« Vikram schnaubte verächtlich. »Passen Sie mal auf, wenn mein Klon stirbt, ohne neue Erkenntnisse erlangt zu haben, stirbt er trotzdem glücklich in dem Wissen, daß ich draußen weitermache. Und wenn er alles herausfindet, dann hoffe ich, daß er weiß, wie … daß er zu euphorisch sein wird, um weiterzuleben.« Vikram stellte in seinem Gesicht den Ausdruck übertriebener Ernsthaftigkeit zur Schau und ließ seine eigene Übertreibung wie einen Luftballon platzen. Cordelia mußte tatsächlich lachen. Dabei hatte Gisela schon angefangen sich zu fragen, ob sie wegen ihres morbiden Kummers über das Schicksal der Springer am Ende nicht ihre Pläne hinsichtlich Cartan begraben würde.
    Schließlich fragte Cordelia: »Wodurch würde es sich lohnen? Worin besteht Ihre größte Hoffnung?«
    Vikram skizzierte ein Feynman-Diagramm in der Luft. »Wenn man von der Raumzeit ausgeht, liefern Rotationssymmetrie und Quantenmechanik einen Regelsatz, was den Spin eines Teilchens angeht. Penrose stellte dies auf den Kopf und zeigte, daß das ganze Konzept von ›dem Winkel zwischen zwei Richtungen‹ in einem Netzwerk von Weltlinien von Grund auf neu erstellt werden kann, so lange diese Spin-Gesetze befolgt werden. Angenommen aus einem System von Teilchen mit einem ganz bestimmten Gesamtspin fliegt ein Teilchen in ein anderes System und dadurch verringert sich der Spin in dem ersten System. Wäre der von den beiden Spinvektoren gebildete Winkel bekannt, ließe sich die Wahrscheinlichkeit dafür berechnen, daß der zweite Spin sich erhöht statt verringert … doch wenn das Konzept des ›Winkels‹ noch nicht zur Verfügung steht, kann man von hier aus zurück arbeiten und es aus der Wahrscheinlichkeit definieren, die man erhält, indem man sich all jene Netzwerke betrachtet, in denen sich der zweite Spin erhöht.
    Kumar und andere dehnten diese Theorie auf abstraktere Symmetrien aus. Von einer Liste Regeln darüber, was ein gültiges Netzwerk ausmacht und wie man jedem eine Phase zuordnet, können wir jetzt die gesamte bekannte Physik ableiten. Doch ich möchte wissen, ob es für diese Gesetze eine tiefere Erklärung gibt. Sind der Spin und andere Quantenfaktoren wirklich elementar oder liegen ihnen noch fundamentalere Faktoren zugrunde? Und wenn sich Netzwerke entsprechend ihrer jeweiligen Phasendifferenz gegenseitig verstärken oder aufheben, müssen wir das als etwas Grundlegendes

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