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Das Jahr der Maus

Das Jahr der Maus

Titel: Das Jahr der Maus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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akzeptieren oder verbirgt sich dahinter ein unbekanntes Regelwerk?«
    Timon tauchte in der Scape auf und zog Gisela beiseite. »Ich habe da etwas angestellt – und so wie ich dich kenne, findest du es ohnehin heraus. Es handelt sich hier also um ein Geständnis in der Hoffnung auf Nachsicht.«
    »Was hast du getan?«
    Timon sah sie nervös an. »Prospero hörte nicht auf mit seinem Geschwafel über die Kultur der Fleischlichen, die uns den Weg weise zu allem Wissen.« Er wechselte in eine perfekte Imitation und gab Prosperos Rede mit dessen Stimme wieder: »Der Schlüssel zur Astronomie liegt im Studium der großen ägyptischen Astrologen und das Herz der Mathematik enthüllt sich in den Riten der pythagoreischen Mystik …«
    Gisela barg das Gesicht in ihren Händen. Es wäre ihr schwergefallen, hier selbst zu schweigen. »Und du sagtest …?«
    »Ich sagte ihm, er solle, falls er sich je frei im Weltall treibend in einem Raumanzug verkörpert finden solle, mit aller Kraft gegen die Helmscheibe vor seinem Gesicht niesen, um die Sicht zu verbessern.«
    Gisela brach in schallendes Gelächter aus. Hoffnung in der Stimme, fragte Timon sie: »Heißt das, mir ist vergeben?«
    »Nein. Wie reagierte er darauf?«
    »Schwer zu sagen.« Timon legte die Stirn in Falten. »Ich bin mir nicht sicher, ob er überhaupt in der Lage ist, eine Beleidigung als solche zu verstehen. Dazu müßte er ja fähig sein, sich vorzustellen, daß die Zukunft der Zivilisation auch ohne sein Mitwirken denkbar ist.«
    Gisela blieb eisern. »Noch zwei Tage. Streng dich mehr an.«
    »Streng du dich mehr an. Du bist an der Reihe.«
    »Was?«
    »Prospero möchte dich sehen.« Timons Schadenfreude war unverkennbar. »Es wird Zeit, daß deine mythische Essenz extrahiert wird.«
    Gisela warf einen Blick hinüber zu Cordelia, die sich angeregt mit Vikram unterhielt. Athena – und Prospero – hatten ihr die Luft zum Atmen geraubt. Befreit von ihnen, erwachte sie zum Leben. Die Entscheidung auszuwandern lag bei ihr, allerdings würde sich Gisela nie verzeihen, wenn sie durch ihr Verhalten Cordelias Chancen schmälerte.
    Timon meinte nur: »Sei nett.«
     
    Das Sprungteam hatte sich gegen jede Art von Abschiedszeremonie für die Klone entschieden. Ihre gefrorenen Schnappschüsse sollten in die Blaupause Cartan Nulls eingefügt werden, ohne je außerhalb Chandrasekhars gelaufen zu sein. Als Gisela Prospero dies mitteilte, war er entsetzt. Doch dieses Entsetzen wich schnell einer großen Erleichterung. Nun mußte er sich, was die Erfindung eines Abschiedsrituals für die Reisenden anging, noch weniger durch die Wahrheit eingeschränkt fühlen.
    Allerdings versammelte sich das gesamte Team, gemeinsam mit Prospero und Cordelia und ein paar Freunden, in der Steuerscape. Gisela stand etwas abseits, während Vikram den Countdown abzählte. Bei ›zehn‹ wies sie ihr Exoselbst an, sie zu klonen. Bei ›neun‹ schickte sie den Snapshot an die Adresse, die ein in der Mitte des Raumes schwebendes Icon für die Cartan-Null-Datei – ein stilisiertes Paar gegenläufig rotierender Lichtstrahlen – aussandte. Als das Etikett zurückkam, war der Sprung nicht mehr Teil ihrer eigenen linearen Zukunft, sogar wenn sie den Klon als Teil ihres erweiterten Selbst betrachtete.
    Vikram rief überschwenglich: »Drei! Zwei! Eins!« Er nahm das Cartan-Null-Icon und warf es in eine Karte der Raumzeit um Chandrasekhar. Dadurch wurde ein Gammastrahl von der Polis in Richtung einer Sonde mit einer Acht-M-Umlaufbahn ausgelöst. Dort wurden die Daten in Nanomaschinen codiert, die dafür entworfen worden waren, sie in aktiver photonischer Form neu zu erstellen – und diese Nanomaschinen schlossen sich dem Strom an, der sich in das Loch ergoß.
    Auf der Karte steuerte das fallende Icon auf eine ›bewegungslose‹ vertikale Weltlinie zu, während es sich der Zwei-M-Hülle näherte. In der Statik draußen tauchten ständig aufeinanderfolgende Abschnitte konstanter Zeit auf, die nie den Ereignishorizont überschritten, sich nur an ihn hafteten. Es gab eine Definition, nach der die Nanomaschinen eine Ewigkeit brauchen würden, um in das Schwarze Loch Chandrasekhar hineinzukommen.
    Nach einer anderen Definition war der Sprung bereits vorbei. In ihrem Referenzrahmen hätten die Nanomaschinen weniger als anderthalb Millisekunden benötigt, um von der Probe zum Ereignishorizont zu stürzen, und nicht viel länger, um den Punkt zu erreichen, an dem Cartan Null gestartet wurde. Und wieviel

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