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Das Jahr der Maus

Das Jahr der Maus

Titel: Das Jahr der Maus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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Arbeit nicht weiter ein, und dies sicher aus gutem Grund.
    Er beschränkte sich vielmehr auf die aus juristischer Sicht anfechtbare Anklage gegen mich.
    Dieses Verfahren vor einer Grand Jury des Staates Texas ist – ich bitte Sie, mir diese subjektive Wertung zu verzeihen – absolut absurd und lächerlich!
    Der Herr Chefankläger bezichtigt mich, unter anderem, der Gotteslästerung.
    Wo, außer in gewissen islamischen Ländern und hier in diesem Bundesstaat der USA, gibt es noch einen derartigen Paragraphen.
    Wie kann ein überzeugter Agnostiker wie ich, der die Schöpfung als ein sich eigendynamisch entwickelndes Rätsel begreift, hinter dem sich kein ›Wille‹ und kein ›Macher‹ verbirgt, einen Gottesbegriff ›lästern‹?
    Ich müßte Atheist sein. Aber ich bin es nicht.
    Der Atheist ist überzeugt von der Nichtexistenz Gottes.
    Ich aber glaube leidenschaftlich an ein höheres System, dem der gesamte Kosmos ebenso wie die subatomaren Bausteine der Materie, dem Zeit, Energie und Leben ihre Existenz verdanken.
    Leider ist unsere Intelligenz begrenzt und nicht in der Lage, Zusammenhänge, Sinn und Zweck dieses Systems zu begreifen.
    Das menschliche Gehirn hat sich zu dieser hochkomplexen Form entwickelt, um unserer Art das Überleben zu ermöglichen. Alle übrigen Funktionen, von Homers Odyssee über Beethovens Neunter Symphonie bis hin zur Relativitätstheorie, sind überflüssige Entgleisungen.
    Übrigens auch meine, leider so heftig umstrittene, Forschung und ihre Ergebnisse.
    Außer der vom Herrn Sonderermittler so sträflich vermißten Hochachtung vor dem lieben Gott, dem ich ins Handwerk gepfuscht haben soll, bemüht die Anklage ein Gentechnikgesetz der Vereinigten Staaten aus den Anfangszeiten des gezielten genetic engineering, ein Gesetz, dem sich leider und wider besseres Wissen zahlreiche Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen sinngemäß angeschlossen haben, und das gewisse Manipulationen in der Molekularbiologie unter Strafe stellt.
    Dieses Gesetz ist in meinem Fall jedoch nicht relevant.
    Mein Forschungslabor befindet sich im Regenwald der Republik Kongo.
    Dieses Land kennt keine Behinderung der genetischen Forschung.
    Die kongolesischen Behörden haben meine Arbeit zu keinem Zeitpunkt in irgendeiner Weise kritisch kommentiert.
    Im Gegenteil: Ich wurde bisher von allen Institutionen, die der Regierung unterstehen, nachhaltig unterstützt.
    Die Justiz der Republik Kongo hätte auch einen bereits vorbereiteten Auslieferungsantrag der USA, meine Person betreffend, schlichtweg ignoriert.
    Insofern bezweifelt mein Herr Pflichtverteidiger ebenso wie ich die formale Zuständigkeit dieses Gerichts, gegen mich oder meine Forschung überhaupt zu verhandeln.
    Es waren die Schlagzeilen der Medien, ich hätte den ›göttlichen Funken‹ entdeckt oder ›spiele Gott‹, die den Herrn Sonderermittler zu seiner Anklage inspirierten und damit zur Einleitung eines offiziellen Verfahrens vor der ersten Strafkammer des Staates Texas unter einer Grand-Jury hier in Dallas.
    ›Göttlicher Funke …‹
    Ja, ich räume ein: Ein Zitat aus einer meiner Publikationen, die unter anderem auch hier in den USA in diversen Fachzeitschriften erschienen sind.
    Es wäre nicht mein Stil, von einem göttlichen Funken zu sprechen.
    Daher erschien diese Formulierung auch nur ein einziges Mal und in einer Fußnote, als beiläufige, marginale Metapher gebraucht, die ich der Anschaulichkeit halber im Zusammenhang mit der von mir gezielt und zusätzlich eingeschleusten DNS-Codierung gewählt habe.
    In der Presse machte dieser ›Göttliche Funke‹ Schlagzeilen.
    Der Herr Staatsanwalt und Sonderermittler nennt das von mir gebrauchte Bild zynisch, satirisch, ketzerisch und widmete ihm in seinem Schlußplädoyer geschlagene fünfunddreißig Minuten.
    Die Behauptung ich ›spiele Gott‹ ist eine wesentlich griffigere Floskel, mit der gewisse Printmedien ihre Titelseite schmückten, zusammen mit einem Porträt von mir im Kreise einiger meiner Geschöpfe. Vielleicht hat das die Auflage gesteigert.
    Das Zitat stammt übrigens nicht von mir.
    Denn: Ich ›spiele‹ nicht!
    Ich ›manipuliere‹!
    Und ich versuche damit die verschlungenen Wege der Evolution nachzuzeichnen und nachzuvollziehen.
    So es Ihnen denn beliebt, und Sie für die Kraft, die wir hinter der Evolution vermuten, einen anderen Begriff wählen als ich: So gut wie Ihr ›Lieber Gott‹ bin ich allemal – nur wesentlich schneller und effizienter.
    Wie gesagt: Ich würfle

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