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Das Jahr der Maus

Das Jahr der Maus

Titel: Das Jahr der Maus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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nicht!
    Ich überlasse auch nichts dem Zufall!
    Wenn der Herr Pflichtverteidiger meine Veröffentlichungen in ›Science‹ und ›Nature‹ als Selbstanzeige eingestuft und gewürdigt wissen will, weil dies möglicherweise als eine Art mildernder Umstand auf Ihre Entscheidungsfindung, meine Damen und Herren Geschworenen, und auf das Strafmaß des Ehrenwerten Herrn Vorsitzenden Einfluß haben könnte, so tut er das spekulativ, jedoch in lauterer Absicht.
    Dafür danke ich ihm.
    Mir lag jedoch, um der Wahrheit gerecht zu werden, jegliche Intention in dieser Richtung fern.
    Selbstanzeige setzt ja Schuldbewußtsein und damit sträflichen Vorsatz bei einer Tat voraus, was zu keinem Zeitpunkt Teil meiner Erwägungen war.
    Ich habe veröffentlicht, als ich fand, daß es an der Zeit war, um interessierten Kollegen die nötigen Informationen zugänglich zu machen.
    Der Sturm der Entrüstung in den Medien und damit in der Öffentlichkeit hat mich zutiefst überrascht.
    Ich habe mit Anerkennung gerechnet.
    Ich ging davon aus: Die Fachwelt würde mir danken!
    Ein Nobelpreis, so dachte ich, ist das Mindeste, was ich erwarten konnte.
    Jetzt droht man mir statt dessen mit dem Scheiterhaufen.
    Der Herr Chefankläger fordert – wohl wegen der Anzahl der von mir veröffentlichten Manipulationen – eintausendvierhundert Mal die Todesstrafe.
    Grotesk!
    Giordano Bruno wurde nur ein einziges Mal verbrannt.
    Auch er fand die Menschheit nicht halb so bedeutend, wie es der allmächtigen Kirche seiner Zeit gefiel.
    Galileo Galilei wurde zum Schweigen verurteilt. Der Grund ist bekannt.
    Ich habe, trotz aller Warnungen, trotz aller Drohungen, nicht geschwiegen.
    Ich habe weiter veröffentlicht und ich habe geredet.
    Sogar hier in den USA.
    Die Bilder gingen um die Welt: Mitten in einem Vortrag in der mit Fachwissenschaftlern vollbesetzten John F.W.-Kennedy-Memorial-Halle hier in Dallas mit ihren dreitausendfünfhundert Plätzen werde ich verhaftet und in Handschellen vom Rednerpult weg und quer durch die Menge der aufgebrachten Kollegen hindurch abgeführt.
    Ob die Kollegen über meinen Vortrag oder über meine Verhaftung aufgebracht waren, möglicherweise auch über beides, sozusagen sowohl als auch, steht dahin.
    Die anwesenden Medien interpretierten den Vorfall, ohne den Tatsachen weiter auf den Grund zu gehen, jeweils auf ihre Weise.
    Auch die Bilder, die ich der Öffentlichkeit zugänglich machte, Videoaufnahmen von ausgesuchten Exemplaren meiner Forschungsergebnisse, wurden auf skandalöse Weise medienträchtig fehlinterpretiert:
    Die Wahrheit ist:
    Von mir genetisch manipulierte und daher vernunftbegabte Schimpansen der Gattung Pan troglodytes und der kleineren Spezies der Bonobos, der Zwerg-Schimpansen, Pan paniscus, sind nach erfolgreicher Auswilderung nun als Lehrer, Missionare, Agronomen, als Sportler, Ingenieure, Kraftfahrzeugmechaniker und Steuerinspektoren tätig und dienen in speziellen Polizeieinheiten und im Heer der kongolesischen Regierungstruppen.
    Eines Tages werden die von mir erschaffenen Wesen Parlamentsabgeordnete stellen, Minister, vielleicht sogar eines Tages den Staatspräsidenten des Kongo – wer weiß …
    Nicht etwa nach meinen freimütigen Veröffentlichungen, nicht nach meinen Vorträgen über meine genetischen Manipulationen, hier in den USA und in anderen Ländern, nein, erst nach dem von den Medien entfesselten Skandal, trat die sogenannte Richtlinien-Kommission auf den Plan, die über die ethischen Grenzen der Genforschung – also auch über uns Fachwissenschaftler – glaubt richten zu dürfen.
    Meine verehrte Kollegin, Frau Professor Sarah Miller-Heidenreich vom legendären Kings College in Cambridge, wo Watson und Crick vor knapp fünfzig Jahren die gewendelte Struktur der DNS entschlüsselten, den Code der vier Aminosäuren, in dem das gesamte Programm für jedwede Art von Leben steckt, meldete sich als Präsidentin dieser internationalen Vereinigung öffentlich zu Wort und zweifelt an meiner moralischen Integrität und fachlichen Kompetenz als Forscher.
    Dieses Verhalten finde ich schlichtweg unkollegial und höchst unqualifiziert.
    Sie dient nun dem Herrn Sonderermittler als Kronzeugin der Anklage – ohne je mit mir diskutiert, ohne je mein Labor in Diambálo am Fuß des Plateaux Bateke besichtigt, ohne je eines der von mir manipulierten Wesen untersucht zu haben.
    Vermutlich hat sie auch keine meiner Publikationen gelesen, sonst hätte ihr Aufschrei bereits wesentlich früher erfolgen

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