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Das Jahr der Maus

Das Jahr der Maus

Titel: Das Jahr der Maus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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Nur leider blieb ich Manuel Muntadas, so sehr ich das auch ändern wollte. Die Zahl ›3‹ flimmerte kurz wie eine Bildstörung durch mein Gehirn, aber ich konnte damit nichts anfangen. Bevor sie mich in die Wache brachten, klebten sie mir die Augen mit einem Streifen Isolierband zu. Als sie es mir in der Zelle wieder abnahmen, nahm es fast alle Haare aus meinen Augenbrauen und einige Wimpern mit, ein ziemlich ungewöhnlicher Schmerz. Eine halbe Stunde später standen sie wieder in meiner Zelle. Sie hatten unverständlicherweise zerlesene Telefonbücher mitgebracht. A hielt meinen Diplomatenpaß in die Höhe und fragte:
    »Wer bist du?«
    »Manuel Muntadas.«
    »Macht ihn fertig«, sagte er. Der erste Schlag mit einem Telefonbuch galt meinem Kopf und ließ mich beinahe bewußtlos werden, aber nur beinahe. Es schmerzte sehr, etwa als habe man mit einem Vorschlaghammer auf eine dicke Packung Knet geschlagen, die auf meiner Schädeldecke lag, aber bewußtlos wurde ich nicht. Das verhinderten die Telefonbücher, sie taten nur dumpf weh bis in mein Rückgrat, dort stieg der Schmerz auf, vereinigte sich mit dem in meinem Schädel, und detonierte dort langsam, wie klamm gewordener Sprengstoff. Ich konnte die zerfledderten Seiten der Telefonbücher wirbeln sehen. Ich war so beschäftigt mit der speziellen Eigenart dieser Schmerzen, daß ich zuerst nicht bemerkte, wie sich mein drittes Haus öffnete. Darum war es gegangen. Das wollten die Helfer von mir.

    Die Schläger mußten sich dann ausruhen. Die Zelle atmete laut. Ich lag auf dem Boden und stützte mich mit meiner linken Hand mühsam ab. Die rechte hatte ich immer noch halb erhoben, wie um mich zu schützen. Das Blut sabberte mir aus der Nase, und mit jedem keuchenden Atemzug sog ich etwas davon ein und hustete es dann wieder in die Umgebung. Zwei Zähne schienen verschwunden. Und trotzdem lächelte ich, weil ich jetzt den Zweck dieser Veranstaltung kannte. Das mochten die Schläger nicht. Selbst der Kommandant, der sich bis dahin locker am Türrahmen aufgestützt hatte, merkte auf, und kratzte sich am Kopf.
    »Wer bist du?« fragte er beiläufig.
    »Manuel Muntadas«, sagte ich mit einem leichten Sprachfehler, wegen der fehlenden Zähne.
    »Ach Scheiße«, sagte der Kommandant, gab seinen jungen Hunden einen Wink und wandte sich gelangweilt ab. Diesmal schafften sie es mit der Bewußtlosigkeit, aber sie brauchten fast fünf Minuten dazu.
     
    Ich bin in Wien. Wien, Provinzhauptstadt von Österreich, Großkönigreich Deutschland. Diese Magnetschwebebahnen sind so geschwind, daß dieses kleine Großkönigreich immer schnell durchmessen ist, selbst mit den angegliederten Protektoraten. Eigentlich müßten sie ganz Rußland und all die anderen Massakerrepubliken im Osten eingemeinden, damit die Magnetbahnen wirklich etwas nützen, Rußland möchte keine Magnetbahnen, Rußland möchte Siedewasserreaktoren, und so lange es die möchte, ist es in seinen Grenzen sicher. Ich kann keine größeren Sprünge mehr machen. Ich spaziere todmüde an der Donau entlang. Sie schimmert wie Altöl im Licht der Halogen-Straßenlampen. Ich gehe in ein Café, aber das ist nichts: lauter wilde Kinder mit schief geschnittenen Frisuren. Bei dem einen Kaffee des Abends sitze ich einem Rastamann gegenüber, der mit groß aufgerissenen Augen in einer Zeitung namens ›Suboptimal‹ liest: ›Zeitung für halbe Menschen.‹ Sein Freund, ebenso H.I.M Haile Selassie I. zugetan, versucht mir einen Batzen zu verkaufen, der angeblich zu hundert Prozent aus reinem marokkanischem Hasch bestehen soll, in Wirklichkeit aber aussieht wie gepreßte Hundescheiße. Wenn du wüßtest, denke ich. Der Junge hat große Schwierigkeiten, sich mit dem eigenartigen Ausländer zu verständigen, erstens ist es so laut, daß man sich hier ohnehin kaum versteht, zweitens ist das Englisch des Jünglings noch schlechter als sein Hasch. Ich stehe auf, ohne zu zahlen. Die halben Menschen stört es nicht. Warum habe ich das getan? Der Kaffee war gut, ich habe noch genug Geld für diese kleinen Annehmlichkeiten, aber ich wollte nicht zahlen. Draußen eine Plakatwand, die für Brautmode wirbt. Ein Pubertär hat den aufgedonnerten Bräuten mit einem Edding Brüste aufgemalt, Kreise mit einem Punkt in der Mitte. Es wundert mich, daß er die Mösen ausgelassen hat, aber wo sie zu vermuten wären, ist nur das unbefleckte Weiß zeitgenössischer Brautmode. Die Bräute sehen in die Kamera, als hätte man ihnen befohlen,

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