Das Jahr der Maus
seinem eigenen Bett anzuzünden. Ich dachte an qualvolles Ersticken hinter Panzerglas, und verlieh meinen Helfern im Geist einen Orden.
Wahlkampf. Der alte König tritt noch einmal an, teilweise gegen das laute Murren der Kronprinzen aus der eigenen Partei. Da der Zukunftspaketsminister das Zeitliche gesegnet hat, ist ein gewisses Machtvakuum unterhalb der königlichen Fußsohlen entstanden, so hält der alte Sack noch einmal vier Jahre Sanssouci für notwendig, damit ein geeigneter Nachfolger herangezogen werden kann. Der Wahlkampf ist nicht interessant. Das Volk wird den alten Sack wählen, es hätte jeden gewählt, den der alte Sack empfohlen hätte. Der sozialdemokratische Königskandidat wird allgemein die ›Fliege‹ genannt, wegen seiner überdimensional großen Brille. Der ökologische Königskandidat beweist seine Kompetenz durch kulinarische Fähigkeiten. Er wirbt mit dem grenzdebilen Spruch: »Ein König, der uns grün ist.« Ich würde aus ökonomischen Gründen den alten Sack wählen. Die üblichen Streuverluste, die bei der farblichen Neugestaltung des Staatsapparats anfallen, sollte man sich sparen. In einer Stadt, deren Namen ich nicht weiß, reiße ich nachts um drei in der Nähe des Magnetbahnhofs Dutzende von Wahlplakaten ab. Da es regnet und da das Papier schon ganz durchweicht ist, kann ich durch das Herunterreißen eines durchgängigen, zehn Meter langen Papierstreifens, dem die Charaktermasken aufgeklebt worden sind, zwanzig Visagen auf einmal zerteilen. Macht mehr Spaß, als das bei einem Erwachsenen der Fall sein sollte. Ich möchte erwischt werden, aber es läßt sich niemand blicken. Als doch noch ein Wagen vorbeifährt, eins der dreirädrigen Armutsgefährte, verlangsamt es nur kurz sein Tempo und leuchtet mein Gesicht aus, danach nimmt es Geschwindigkeit auf und biegt um die nächste Ecke. Der Regen zieht silberne Schnüre durch das Licht der Straßenlaterne gegenüber, hier läuft er mir langsam in den Kragen. Ich stelle mir vor, wie albern ich mit dem einen Ende der Papierbahn in der Hand aussehen muß, und lasse los.
Warum nehmt ihr sie nicht gleich alle mit.
Wir sind doch keine Massenmörder.
Es wurde Herbst, das Land zog sich aus zum Frieren, und das Bild des Griechen, das ich in meiner Brieftasche herumtrug, war immer noch aktiv. Die Helfer würden wissen, was damit anzufangen war, sie befahlen mir ja, es zu behalten. Andererseits lebte ich eine Zeit lang sehr bürgerlich in einem Wohnblock, der hauptsächlich von jungen Leuten in meinem Alter bewohnt war, die Wände waren dort dünn, die Mieten in gerade noch erträglichem Maße unerschwinglich. Ich tat dort nicht viel, und es sah fast so aus, als solle ich meinen Urlaub wiederaufnehmen. Allerdings hatte ich Alpträume, in denen mir durch einen oral eingeführten Stutzen die Luft aus der Lunge gesogen wurde; das so brutal und schnell, daß mir vor dem Sterben keine Zeit zum Beten blieb. Besonders die Schnelligkeit der Attacke machte mir Kummer, denn ich wollte mich im Traum wehren können, davon war aber kein Rede. Ich saß nach diesen Träumen mit einem Schweißkragen unter der Kehle in meinem Bett, und wenn ich die Tür zu meinem Balkon öffnete, bildete sich ein kaltes Dreieck auf meiner Brust. Ich fragte die Helfer, was ich hier sollte, und sie antworteten nicht. Manchmal dachte ich schon, sie hätten mich verlassen, und es erstaunte mich, was für eine entsetzliche Leere sich hinter diesem Gedanken auftat. Ich haßte die Helfer, aber ohne ihre Befehle konnte ich nicht sein, ich fühlte mich wie wochenalte Spinnenbeute, die in einem verstaubten Netz in einer notorisch ungereinigten Ecke der Wohnung hängt: nur noch ein wenig Chitin und Luft, und die Spinne selbst ist längst verschwunden. Warten auf den Staubsauger. Wenn ich wieder einmal von dem Stutzen geträumt hatte, fragte ich die Helfer, ob sie Seelenspinnen seien. Auch diese Frage beantworteten sie mir nicht. Ich sah viel fern. Das in die Wand eingelassene 2D-Gerät ohne Neurokit gab nicht viel her, aber wenigstens waren Stimmen in der Luft. Damals fing Marc T. gerade an, gegen Naikioku zu kämpfen, und ich verpaßte keine Folge. Ich ließ mir auch von Agentenfilmen meine eigene Situation erläutern. Ich war ein Schläfer. In einem der Filme wurde ein Schläfer erst nach zwanzig Jahren wieder aktiviert. Ich fand die Idee gleichzeitig verlockend und grausam. Über mir wohnte eine junge Familie, die Frau beschädigte ihr Kind, indem sie es regelmäßig
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