Das Jahr der Maus
wie einer, der sagt: Du weißt schon. Monika grüßte, je nachdem, überschwenglich freundlich oder überhaupt nicht, aber wenn sie grüßte, dann mit der ihr eigenen Verschwörermiene: Wir wissen doch. Ich fand bei ruhigeren Treffen als dem ersten heraus, daß sie sehr tapfer war und trotz ihrer Krankheit eine Ausbildung als Masseuse durchgestanden und beendet hatte, daß sie einige Jahre älter war als ich, daß sie zweimal im Jahr die Kontrolle verlor. Lars war bei diesen Treffen zwar in der Wohnung, aber nie zugegen. Er schämte sich anscheinend vor mir. Dann besuchte mich Monika unverhofft. Sie stand an meiner Tür, zuviel verschmierten hellblauen Lidschatten um die Augen, schwankend, barfuß, irre.
»Kann ich reinkommen?« Sie mahlte die Wörter zwischen den Zähnen.
Ich war nicht recht entschlossen. Im Grunde wollte ich fernsehen.
Mit festen und kleinen Schritten zog sie an mir vorbei durch den kleinen Vorraum und öffnete die richtige Tür, als sei ihr meine Wohnung vertraut. Sie setzte sich auf den Boden, ihre Füße waren mit irgend etwas bemalt, das rote Streifen auf dem Teppich hinterließ. Ihre Augen waren starr und groß. Sie schien auf etwas zu warten. Monika war für die Jahreszeit viel zu dünn angezogen. Sie hatte sich so hingesetzt, daß ihr Rock zurückgeschoben worden war und ihr Unterleib freilag, der schmale Slip gab den Blick auf viel drahtiges schwarzes Schamhaar frei. Ich erlitt eine Erektion, für die ich mich schuldig fühlte.
»Du mußt nämlich wissen, daß ich heute einmal ganz um die Stadt herumgelaufen bin.« Ihre Stimme war die reine Panik, knapp an der Grenze zum Geheul. »Das geht. Ich kann das. Auch barfuß. Und dann bin ich von außen in die Stadt eingedrungen und habe sie erobert. Ha!«
Sie griff nach hinten, zu der dunkelblauen Ledertasche, die sie am Henkel in die Wohnung getragen hatte, und stürzte sie auf meinem Boden um. Es fiel alles mögliche heraus, Stifte, Kosmetikgerümpel, Kekskrümel, ein Buch ohne Einband. Sie sonderte aus dem Haufen drei oder vier Sachen ab, und legte sie feinsäuberlich vor mir hin: eine angenagte Ananasscheibe, ein Päckchen Traubenzucker, Hustenbonbons, irgend etwas.
»Alles Idioten«, sagte sie mir schwarzer Verachtung in der Stimme. »Vollidioten. Hab ich alles geklaut. Kannst du haben.«
Ich war mittlerweile nicht mehr nur verwirrt, sondern auch ängstlich. Wenn es nötig war, konnte diese Frau implodieren wie eine alte Braunsche Röhre, das hatte ich zwar theoretisch gewußt, aber jetzt lief sie konkret darauf zu, und die Splitter würden mich treffen. Sie wollte mir durch ihr Verhalten irgend etwas sagen. Sie mochte mich auf ihre Art gern. Ich entschied mich für den Traubenzucker. Von meinem Stuhl mußte ich mich recht tief zu dem weißen Würfel hinunterbeugen, und als ich ihn anfaßte, war er geladen. Der Strom zuckte durch meinen Oberarm und setzte eine vergiftete Pfeilspitze unter mein Brustbein. Strom für mein sechstes Haus. Ich stockte kurz in meiner Bewegung. Dann öffnete ich mühsam das Päckchen und schob mir eine der kleinen Tafeln in den Mund.
»Und«, fragte sie herausfordernd, »ist gut?«
Ich lächelte und nickte beschwerlich.
Sie schob ihren Rock noch weiter hoch und hob ihr Becken an. Mehr Schamhaar wurde sichtbar, und die Umrisse ihres Geschlechts zeichneten sich in dem Slip ab.
»Alle Männer sind geil auf mich. Ich kann alle Männer haben.«
Ich sagte dazu nichts, Schweiß trat mir auf die Stirn. Die Hormone, die in dieser grundfalschen Situation in mein Blut gingen, hätte ich namentlich herunterrattern können. Alles falsch. Grundfalsch.
»Monika. Es ist spät. Das war ein langer Tag für mich. Ich möchte gern schlafen.«
Sie ließ ihr Becken sinken.
»Ach so. Kannst du mir hundert Mark leihen?«
Ich atmete innerlich auf. Die Wogen glätteten sich. Ich steckte ihren Geldchip, der mit den anderen Sachen aus ihrer Tasche herausgefallen war und den sie mir mit einer schmutzigen Hand hinhielt, in meine Ladestation. Sie war plötzlich sehr sachlich und kühl, abgesehen von ihrem Aufzug hätte man sie jetzt für normal halten können. Schnippisch zog sie mir den Chip aus der Hand, sie war anscheinend beleidigt.
»Alle Welt meint natürlich«, sagte sie mit glasklarer Stimme, »daß die Bekloppten mit Geld nichts anfangen können. Alle Welt hat keine Ahnung.«
Sie hatte ihr Geraffel schon beisammen. Ich wünschte ihr an der Tür eine gute Nacht, aber sie ging wortlos. Das Traubenzuckerpäckchen stand auf
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