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Das Jahr der Maus

Das Jahr der Maus

Titel: Das Jahr der Maus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang (Hrsg.) Jeschke
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bekommt. Als hätte Leda ihre Gedanken erraten, kommentiert sie die Fahrt durch die aseptischen Irrgänge: »Hier wird ausschließlich im DNA- und Molekülbereich experimentiert. Wir arbeiten an der Synthetisierung der Mastergene und der sie organisierenden Basenketten, die die zeitliche und räumliche Entwicklung der Proteine lenken. Vielversprechende Verbindungen werden ausgetestet und auf ihre Vermarktung hin vorbereitet. In dieser Einheit wird lediglich die Biorohmasse hergestellt. Wir liefern diese an spezialisierte Tankfirmen in Alaska, die das finanzielle Risiko mit der Heranzucht von Embryonen auf sich nehmen.«
    Ob das meine Heimat ist, fragt sich Amber, ein Nährstofftank in Anchorage?
    »Im Moment arbeiten wir ausschließlich mit Tiermaterial, das ist unser Experimentierfeld für die Arbeit an den menschlichen Sklaven«, fügt Leda hinzu.
    Amber fährt beim Wort Sklave zusammen. Nur selten wird dieser abschätzige Begriff gebraucht. Die Gesetze zum Schutze der Bios haben derartige rassistische Ausdrücke aus den meisten Ländern GAIAS verbannt.
    Leda grinst Amber entgegen. »Wenn du bei uns einsteigst, wirst du das humanistische Geschwätz bald ablegen. Wir arbeiten an der Zukunft, da gibt es keinen Platz für Sentimentalitäten.«
    Das Gefährt tuckert in einen begrünten Park, der GBT blickdicht zur Überlandstraße hin abschirmt. Unter den bläulichen Schatten hoher Hybridbäume kommt es zum Stehen. »Zum Parking sind es wenige Minuten zu Fuß«, informiert sie Leda. »Aicha, geh bitte vor. Ich muß mit Amber unter vier Augen reden.«
    Aicha blickt die beiden hellhäutigen Frauen aus den Augenwinkeln an, als wäre sie sich nicht sicher, ob sie Leda unbeobachtet mit einer nicht Eingeweihten zurücklassen soll. Leda nickt ihr entspannt zu. Aicha dreht sich um und verschwindet hinter einem Hoya-Strauch.
    »So, hast du dich bereits entschieden oder willst du mehr sehen?« fragt Leda mit scheinbar gleichgültiger Stimme.
    Amber zögert. »Ich weiß nicht, ob es bei euch einen Platz für mich gibt. Die wissenschaftliche Forschung hat mich nie sonderlich interessiert.«
    »Also eher Cyberpop? Hätte ich mir denken können. Ich schlage dir vor, daß wir gleich in den Vixen Club fahren. Dort kann ich dir einige sehr attraktive Leute vorstellen. Huascar zum Beispiel, unseren neuen Star.«
    Leda wartet Ambers Antwort gar nicht erst ab und geht zielstrebig auf ihren himbeerrot glänzenden Chevy zu. Aicha winkt ihr aus dem Fenster zu. Die Hitze des Spätsommertages lastet bleiern über der Stadt. Leda setzt sich zu ihrer Gefährtin.
    Amber öffnet die Autotür und läßt sich ins kühle Sitzpolster fallen. Sie schließt die Augen, ihr Kopf ist völlig leer. Keine Laute, keine Bilder, keine Gedanken. Ein unformatiertes Laufwerk, eine neu bespielbare Feeldisk. Ihre Erinnerungen wurden mit einem Mal ausgelöscht, der Tornado war mächtig, gründlich, er ließ nichts zurück.
    »Warm hast du es erfahren«, fragt sie Huang, »daß du nicht wie die andern bist?«
    »Als ich aufwuchs, waren wir Bios in den öffentlichen Schulen nicht zugelassen. Ich habe mir alles, was ich weiß, selbst beigebracht. Übers Netz. Deshalb war es für mich naheliegend, mich als Quicksilver durchzuschlagen.«
    »Kommst du mit mir nach Singa zurück? Ich halte es hier nicht mehr aus.«
    »Gerne, Hupo. Die siehst ganz so aus, als könntest du etwas Ruhe gebrauchen. Ich werde mit Leda sprechen und ihr mitteilen, daß ich nicht mehr für sie arbeiten werde.«
    Amber bucht über ihr Handy zwei Sitze mit der nächsten Maschine. Leda wird wahrscheinlich nicht verstehen, warum Amber vorzeitig abreist und die Chance vergibt, bei den Geishas oben einzusteigen. Das spielt bereits keine Rolle mehr, Amber ist nicht geschaffen für eine Karriere in einer derart in sich geschlossenen Organisation.
    Leda und das imaginäre Leben in Newbang, mit dem sie geködert werden sollte, ist nicht mehr von Bedeutung. Davon trennt sie mehr als ein Leben. Die Geishas waren mit ihrer aggressiven, respektlosen Art lange Zeit ihre Idole gewesen, aber ein Alltag mit ehemaligen Idolen befriedigt Amber nicht. Es ist eindeutig Zeit, auf eigenen Beinen zu stehen. Herauszufinden, was sie wirklich will. Welchen Weg sie einschlagen soll.

 
TANG
     
    Huang sitzt mit geschlossenen Augen am Fensterplatz in der Maschine der Thai Air neben Amber. Das eingängige Summen der Motoren hat eine beruhigende Wirkung auf ihn, er atmet ruhig, als würde er schlafen oder meditieren. Die Luft ist

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