Das Jahr der stillen Sonne
verblüfft oder wütend war – der Schuß erschreckte ihn, und er reagierte automatisch auf diese Gefahr. Er trat das Pedal durch, riß gleichzeitig das Lenkrad nach links und brachte den Wagen zum Schleudern. Als Saltus den Fuß vom Pedal nahm, blieb der Wagen nach einer Drehung um 180 Grad in entgegengesetzter Fahrtrichtung stehen. Saltus beschleunigte wieder. Sämtliche Räder drehten kurz durch, fanden dann Halt und ließen den Wagen unerwartet schnell nach vorn schießen. Das Tor kam auf ihn zu. Saltus bremste, ließ das Auto schleudern und lenkte es gegen die Tür des Wachgebäudes. Dann sprang er heraus und ging daneben in Deckung.
Saltus schoß zweimal rasch nacheinander durch die morsche Holztür und hörte einen Schmerzensschrei. Er schoß nochmals, kletterte dann über die vordere Haube seines Wagens und stieß die Tür auf. Der Schreiende lag auf dem Boden und hielt sich die Schulter. Ein großer, hagerer Neger stand in der entferntesten Ecke des Wachraums und zielte mit einem Gewehr auf Saltus. Aber der Korvettenkapitän kam ihm zuvor. Er schoß aus der Hüfte heraus und sah den anderen lautlos zusammensacken. Der Schreiende verstummte erschrocken.
Einen Augenblick lang herrschte tiefes Schweigen.
»Verdammt noch mal, was ist hier …« begann Saltus.
Ein unglaublich heftiger Schlag traf sein Kreuz, raubte ihm die Sprache und trieb ihm den Atem aus den Lungen. Er hörte den Schuß, ohne die Entfernung abschätzen zu können. Er taumelte und sank in die Knie, während flüssiges Feuer sein Rückgrat entlang zu seinem Gehirn hinaufkroch. Aus weiter Ferne fiel noch ein Schuß, aber diesmal spürte Saltus nichts. Er drehte sich kniend um, damit er der Bedrohung begegnen konnte.
Der Jet kletterte über die Vorderhaube des kleinen Wagens, um Saltus zu erreichen.
Saltus fühlte sich wie jemand, der im Treibsand versackt ist: Jede Bewegung war unendlich mühsam, als er jetzt das Gewehr hob und auf den Angreifer zielen wollte. Die Waffe war ihm beinahe zu schwer; er konnte sie nicht schnell genug hochheben. Der Jet rutschte über die Haube nach unten, sprang mit einem Satz über die Schwelle und streckte die Hände nach Saltus oder dessen Gewehr aus. Saltus kniff die Augen zusammen, aber das Gesicht des anderen blieb verschwommen. Hinter diesem Gesicht ragte ein Berg von einem Mann auf. Jemand griff nach dem Gewehr und wollte es ihm wegreißen. Saltus drückte ab.
Das bedrohliche Gesicht veränderte sich: Es verlor seine Konturen, löste sich in ein verwirrendes Durcheinander aus Knochen, Blut und Fleisch auf und zerfiel wie Williams Wagen im Granatwerferfeuer. Das verschwommene Gesicht geriet in Bewegung, während Donner den Raum erfüllte und die morsche Tür zittern ließ. Der Berg in Menschengestalt begann zu wanken und drohte auf ihn zu stürzen, wenn er zusammenbrach. Saltus versuchte wegzukriechen.
Der Stürzende fiel auf ihn, warf ihn zu Boden und schlug ihm das Gewehr aus der Hand. Saltus verlor das Bewußtsein, als er mit dem Hinterkopf aufschlug.
Arthur Saltus öffnete die Augen und sah, daß es dunkel geworden war. Eine unerträgliche Last hielt ihn auf dem Fußboden fest. Ein schneidender Schmerz ging von seinem Rücken aus, wenn er sich bewegte.
Er kroch langsam unter der Last hervor, kam nur zentimeterweise voran und mußte öfters Pausen einlegen, wenn ihm schwarz vor den Augen wurde. Nach Minuten oder Stunden atemloser Mühe gelang es ihm, den Toten zur Seite zu wälzen, unter ihm hervorzukriechen und sich auf den Knien aufzurichten. Als erstes warf er den Rucksack ab, den er bisher überall bei sich getragen hatte, um seine Vorräte nicht zu verlieren, falls er den Wagen im Stich lassen mußte. Mit gewaltiger Anstrengung schaffte er es, die Feldflasche aus dem Rucksack zu holen, aufzuschrauben und an die Lippen zu setzen. Die Hälfte des Wassers lief daneben, aber der Rest erfrischte ihn, bevor er auch die Flasche fallenließ. Sein Gewehr lag vor seinem rechten Knie auf dem Fußboden, aber Saltus mußte zu seinem Erstaunen feststellen, daß er nicht mehr die Kraft besaß, es aufzuheben.
Saltus wußte nicht, wie lange er brauchte, um die Pistole unter seiner Parka hervorzuholen und auf die Vorderhaube des Elektroautos zu legen. Und er konnte erst recht nicht beurteilen, wieviel Zeit verstrich, während er selbst über diese Haube kroch, um ins Freie zu gelangen. Die Pistole fiel dabei zu Boden. Saltus bückte sich danach, berührte die Waffe mit den Fingerspitzen, hatte sie schon
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