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Das Jahr der stillen Sonne

Das Jahr der stillen Sonne

Titel: Das Jahr der stillen Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilson Tucker
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etwas Zweckloses tat: Er legte die Überreste von Zivilisten frei, die vermoderte Zivilkleidung und gelbe Armbänder trugen. Ein ausgebleichtes, ehemals schwarzes Kreuz auf gelblichem Grund bedeutete ihm nichts, aber er steckte eine dieser Armbinden ein. Katrina würde sie sehen wollen. Die Jets selbst ließen sich nicht mehr identifizieren; nach sechzehn Monaten in Wind und Wetter waren sie so unkenntlich wie die Toten oberhalb des Zauns.
    Saltus wußte jetzt, daß Zivilisten die Banditen waren, von denen über Funk die Rede gewesen war; Zivilisten mit Granatwerfern und einer Art zentraler Organisation – vielleicht die gleiche Gruppe, die eine Rakete mit Atomsprengkopf auf Chicago gelenkt hatte. Jets als Verbündete der Chinesen … oder zumindest bereit, sich von ihnen unterstützen zu lassen.
    Für Saltus bedeutete das einen Bürgerkrieg.
    Dann fiel ihm etwas ein. Er starrte die zugeschneiten Toten nachdenklich an. Die Jets hatten versucht, Chicago dem Erdboden gleichzumachen – als Vergeltungsmaßnahme? Hatten die Jets die Stadt vor zwanzig Jahren verloren, als sie die Mauer bauten, hinter der sie dann selbst gefangen waren? Hatten sie jetzt einen Rachefeldzug begonnen? Arbeiteten die Jets mit den Chinesen zusammen, weil sie der Haß gegen die Weißen einte?
    Saltus beugte sich über die Toten, aber ihre Hautfarbe war nicht mehr zu erkennen.
    Er stieg wieder den Abhang hinauf.
    Die Welt war seltsam ruhig und leer – verlassen. Saltus hatte weder auf der Autostraße noch auf der in der Nähe vorbeiführenden Eisenbahnstrecke Verkehr beobachtet. Er hörte auch keine Flugzeuge am Himmel. Er blieb unablässig wachsam, ohne etwas Auffälliges zu bemerken. Im Schnee waren nicht einmal Tierfährten zu sehen. Eine verlassene Welt – oder eine Welt, auf der sich die Menschen angstvoll versteckten. Saltus dachte an die ärgerliche Stimme, die ihn aufgefordert hatte, sein Funkgerät abzuschalten, bevor er seine Position verriet.
    Saltus blieb noch einige Minuten lang im kalten Wind oben neben den Trümmern des Elektroautos stehen. Er konnte nur hoffen, daß William hinausgesprungen war, bevor die Granate eingeschlagen hatte. Der alte Junge hatte es zumindest verdient, sich mit den Banditen herumschießen zu dürfen, bevor seine Unglückspropheten recht behielten.
    Er war jetzt davon überzeugt, daß der Major hier umgekommen war.
     
    Saltus fuhr an der Kantine vorbei, ohne ihr mehr als einen flüchtigen Blick zu gönnen. Auch dieses Gebäude war ausgebrannt. Er konnte sich vorstellen, daß die Jets die Station gestürmt, geplündert und in Brand gesteckt hatten. Zum Glück war der Stahlbetonklotz des Labors atombomben- und erdbebensicher, sonst wäre er unter freiem Himmel angekommen und vom Fahrzeug in den Schnee hinabgeklettert. Er hoffte, daß die Banditen inzwischen längst verhungert waren – aber dabei fielen ihm die angebrochenen Lagerbestände ein.
    Dieser eine Bandit war nicht verhungert, aber er hatte auch nicht für seine Kameraden gesorgt. Wie war er durch die besonders gesicherte Tür ins Innere des Gebäudes gelangt? Dazu mußte er zwei Schlüssel gehabt haben: Williams Schlüssel – aber ein Volltreffer auf das Auto hätte die Schlüssel so weit wie die Einzelteile des Wagens verstreut. Und warum hatte der Bandit den Lagerraum nicht auch seinen Kameraden geöffnet, wenn er schon die Schlüssel dafür besaß? Warum waren die Vorräte nicht geplündert und das Labor nicht zerstört worden? War dieser Mann so egoistisch gewesen, daß er sich allein sattgegessen hatte, ohne an die anderen zu denken? Vielleicht. Aber aus dem Lagerraum fehlten mehrere Paar Stiefel …
    Saltus nahm die nächste Kurve zu schnell, schleuderte kurz und mußte gegenlenken. Dann fuhr er geradeaus auf das Wachgebäude zu. Daß es noch stand, wunderte ihn nicht; eine Betonkonstruktion war schwer zu zerstören oder niederzubrennen. Das Tor selbst war aufgebrochen worden und hing schief in seinen Angeln. Saltus fuhr durch und konzentrierte sich auf die kaum erkennbare Straße. Unter der geschlossenen Schneedecke waren nur die flachen Straßengräben links und rechts der Fahrbahn auszumachen. Erst am letzten Donnerstag waren William und er auf dieser Straße nach Joliet gefahren, um dort ihren ersten Auftrag zu erfüllen.
    Ein bärtiger Mann stürzte aus dem Wachgebäude, schoß hinter dem Elektroauto her und traf die Heckscheibe, die krachend zersplitterte.
    Arthur Saltus nahm sich nicht die Zeit, erst genau zu analysieren, ob er

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