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Das Jahr der Woelfe

Das Jahr der Woelfe

Titel: Das Jahr der Woelfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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bedrückt. Wer hatte nun Recht? Großvater und Tante, Brennschere und die Apothekerin? Oder die Stimme im Radio?
    Er sagte: »Auf Wiedersehen.« Janosch trat gerade aus der Post heraus. Die Dämmerung brach herein und mit ihr kam das Donnergrollen der Abschüsse und Einschläge, das den ganzen Nachmittag über geschwiegen hatte.
    »Wieder ein Stück zu uns herüber«, sagte Janosch. Er hielt nun selbst die Zügel und trieb die Pferde zu einem langen Trab. In Leschinen brannten schon die Lichter.
    »Gut, dass er da ist«, atmete die Mutter auf, als sie Konrads Pantinen im Flur klappern hörte.

7
    »Konrad«, rief die Mutter vom großen Herd her und füllte einen Teller halb mit Milchsuppe. »Vergiss das Brot für Großvater nicht«, mahnte sie.
    »Darf ich noch ein Stündchen mit hinüber?«, bettelte Albert inständig.
    »Lauf zu. Aber um halb acht Uhr bist du wieder da.«
    »Ja«, versprach er.
    Konrad trug den abgedeckten Teller vorsichtig vor sich her. Albert hatte das Brot unter den Arm geklemmt und das Besteck hinter das Koppel geschoben.
    Er öffnete die Tür zu Großvaters hölzernem Haus. In der Stube war es dunkel. Nur der Mond malte viereckig und blau einen Lichtfleck an die Wand.
    »Großvater?«, fragte Albert ängstlich.
    »Ja, Albert?«
    »Wir bringen das Essen.«
    »Ich zünde das Licht an«, sagte Konrad.
    Er tastete sich zum Tisch hin und setzte den Teller behutsam ab. Das Streichholz schabte am Schwefel vorbei und flammte auf. Bald hüllte der warme Schein von Großvaters Petroleumlampe das Zimmer in lebendiges Licht.
    Großvater betete und aß. Schweigend hockten die Kinder auf dem Bettrand. Konrad sah in das große Gesicht, das von langen, weißen Haaren eingeschlossen war. Der Mund war wie ein Strich, die Nase groß und gebogen und die struppigen Brauen kühl gewölbt.
    Die Augen haben Amerika gesehen, dachte Konrad. Und mit seinen tauben Beinen ist er bis hinter Moskau gelaufen, um aus rohen Stämmen feste Häuser zu bauen.
    Albert reichte Großvater zwei Scheiben Brot. »Hast du eigentlich noch alle Zähne, Großvater?«, fragte er.
    Der Großvater kaute bedächtig und gab zur Antwort: »Zwei schlug mir ein Balken aus dem Kiefer und einen verlor ich vor Warschau, als ich vom First eines Hauses stürzte.«
    »Und die anderen?«
    »Das sind sie, die Räuber«, lachte der Großvater und große, breite Zähne glänzten im Licht.
    »Warst du lange in Warschau, Großvater?«, fragte Konrad. – »Ja, Junge, insgesamt wohl an die zwei Jahre.«
    »Die Polen«, wollte Albert wissen, »sind die Polen alle feige?«
    »Feige? Junge, wer hat dir den Unsinn erzählt? Hast du nie vom Polenkönig Johann Sobieski gehört, Albert?«
    »Nein, nie.«
    »Er stritt mit Heeren aus ganz Europa 1683 gegen die Türken.« – »Die Schlacht am Kahlenberg«, rief Konrad.
    »Ja, König Johann Sobieski stellte mit seinen 15 000 Polen die größte Streitmacht des Heeres. Seine wilden Lanzenreiter entschieden diese Sonntagsschlacht am 12. September. Die Türken wurden geschlagen. Wien und Europa waren gerettet. Nur ein Dummkopf kann die Polen feige nennen.«
    »Der Lehrer hat den Namen von Johann Sobieski nie genannt«, wunderte sich Konrad.
    »Aber böse sind die Polen und heimtückisch. Sie hassen die Deutschen. Das sagt auch Brennschere«, behauptete Albert.
    »Es gibt in jedem Volk böse und gute Menschen. Ich bin vielen guten Polen begegnet und war gern in ihrem Land. Wer anders spricht, ist ein Lügner.«
    »Brennschere lügt?«, fragte Konrad.
    »Wenn er behauptet, die Polen seien feige, böse, hinterlistig und heimtückisch …«
    »Und schmutzig und gemein«, ergänzte Albert.
    ». . . dann hat ihm das der Teufel eingeflüstert.«
    »Warum lügt Brennschere, Großvater?«
    »Hass macht blind. Hass bläht Lügen auf, macht sie dick; sie stürzen sich über die Wahrheiten und wollen sie restlos verschlingen.«
    »Wie Gespenster«, sagte Albert.
    »Gibt es Gespenster, Großvater?«, fragte Konrad.
    »Junge, das ist eine schwere Frage, auf die ich keine Antwort weiß. Geister? Geister?« Der Großvater sah vor sich hin.
    »Geister bestimmt, Großvater. Die Engel sind doch Geister und die Teufel«, wusste Albert.
    Großvater ließ sich ein wenig in die Kissen zurücksinken und begann zu erzählen.
    »Ich kam einmal, als euer Vater noch ein kleiner Tropf war, mit Miau und Klein-Jerutten herüber durch den großen Wald. Es war im Spätherbst. Im Wald war es schon finster. Wir fühlten uns sicher, Miau, weil ich bei ihm

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