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Das Jahr des Hasen

Titel: Das Jahr des Hasen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arto Paasilinna
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Milchkannen fie-len ihr aus den molligen Händen und rollten scheppernd über den Hof bis zum Brunnen. Sie verschwand im Haus, Vatanen hielt immer noch den Mann in den Ar-men. Wie ihm schien, hatte sich der Zustand des Alten noch verschlimmert. Er wurde von tiefem Mitgefühl ergriffen, dieses Unglück hatte er nicht gewollt.
    Auf den Stufen vor der Haustür tauchten halbangezo­ gene Leute auf, der Bauer, die Bäuerin, die junge Frau von vorhin. Sie alle waren fassungslos und machten keine Anstalten, Vatanen bei seinen Wiederbelebungs­ versuchen zu helfen.
    »Haben Sie eine Gartenschaukel? Dort kann ich seine Atmung wiederbeleben«, schlug Vatanen den Leuten vor, aber die rührten sich nicht.
    Schließlich sagte der Bauer: »Das ist unser Opa. Schaff ihn zurück.«
    Vatanen wußte nicht, was er davon halten sollte. »Schaff ihn zurück«, klang es ihm in den Ohren. Er betrachtete den Opa, der steif in seinen Armen lag. Ein Lid hatte sich geöffnet, und Vatanen sah den Augapfel.
    Da begriff er. Er hielt einen Toten in den Armen, tot schon seit einiger Zeit. Vatanen wurde von Grauen gepackt, er ließ den Alten fallen. Der Bauer rannte her­ bei, lud sich den Leichnam auf den Rücken. Der schlen­ kerte gefährlich hin und her, aber der Bauer schob ihn zurecht und brachte ihn in den Schuppen. Dort legte er ihn auf die Hobelbank, deckte ihn mit dem Laken zu, schloß die Tür und kehrte wieder auf den Hof zurück.
    »Du hast unseren Opa geschändet, Mann!« Vatanen hörte seine Worte kaum, denn er stand hin­
    ter dem Brunnen und erbrach sich. Es gab eine Menge zu erklären.
    Wie sich herausstellte, hatte Vatanen im Schuppen mit dem Altbauern genächtigt, der am Vorabend gestor-ben war. Im Haus herrschte Trauer, denn der alte Bauer war ein guter Mensch gewesen. Man hatte Verständnis für Vatanens Versehen. Während vom Großvater ge­ sprochen wurde, weinten die Frauen, auch Vatanen spürte einen Kloß im Hals. Der Hase hielt sich abseits, als wäre er mitschuldig.
    Um zehn Uhr fuhr der Leichenwagen auf den Hof. Va­ tanen half dem Bauern, den Toten ins Auto zu tragen. Das Auge, das sich vorhin geöffnet hatte, wurde ge­ schlossen, der Fahrer des Wagens zückte ein Formular, der Bauer unterschrieb.
    Vatanen konnte ins Kirchdorf Kuhmo mitfahren. Hin­ ten stand feierlich der mit schwarzem Tuch verhüllte Sarg. Der Fahrer des Leichenwagens redete die ganze Zeit über den Hasen, erzählte, er selbst besitze in Ka­
    jaani eine zahme Elster. Diese hatte der Frau des Poli­ zeimeisters angeblich mitten in der Stadt einen Reflex-sticker von der Kleidung gestohlen, jedenfalls hatte der Vogel so ein Exemplar mit nach Hause gebracht.
    »Übrigens, ganz was anderes, ich kenne diesen Bauer Heikkinen. Der war Kommunist, aber eingebracht hat ihm das gar nichts. Wer Kommunist ist, wird niemals reich.«
    12. KAPITEL
    Kurko
    Ende Juli, Anfang August war Vatanen bis nach Rova­ niemi gelangt. Dort waren die letzten Baumstämme bereits geflößt, und Touristen gab es nur wenige.
    Im Restaurant Lapinmaa traf Vatanen mit einem alten Waldarbeiter, einem unglücklichen Säufer, zusammen. Der Mann wurde Kurko genannt, in jungen Jahren, zu den großen Holzfällerzeiten, war er in Lappland als »König der Wälder« bekannt gewesen.
    Kurko haderte mit seinem Schicksal: Er bekam keine Arbeit mehr im Wald, weil er zu alt und außerdem ein Trinker war. Nun sollte er mit der Mindestrente aus­ kommen, doch das reichte vorne und hinten nicht, um frei umherzuziehen. Das Leben war hart für einen alten Holzfäller.
    Vatanen überlegte, wie dem Alten zu helfen sei. Er ging zum Bezirksbüro Lappland der Zentralbehör­
    de für Straßen- und Wasserbau und besorgte sich eine Gelegenheitsarbeit. Er erhielt den Auftrag, drei Holzflöße zu zerlegen, am Ounasfluß oberhalb des Dorfes Meltaus. Kurko wollte gern mitmachen, und so zogen die Männer gemeinsam zum Fluß.
    Mit einer Winde hoben sie die Flöße auf die Uferbö­ schung. Sie hatten eine Motorsäge gemietet, und mit Hilfe von Brecheisen und anderem Werkzeug machten sie sich daran, die alten schweren Flöße auseinanderzu­ nehmen. Bei dem spätsommerlichen Wetter ging die Arbeit flott voran, die Männer wohnten im Zelt und kochten sich ihr Essen draußen auf einer Feuerstelle. Kurko klagte zwar über Entzugserscheinungen, doch ansonsten war er mit seiner Arbeit durchaus zufrieden.
    Von Zeit zu Zeit kamen Dorfbewohner zu Besuch. Sie staunten über den Hasen auf ihre stille, zurückhaltende Art.

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