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Das Jahr des Hasen

Titel: Das Jahr des Hasen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arto Paasilinna
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Wildforschungsinstitut Evo fliegt doch gar kein Flugzeug.«
    »Ich komme ja auch aus Rovaniemi, vorher war ich in Sodankylä.«
    »Dann sind Sie gar nicht von Evo?« fragte der Profes­ sor verwundert. »Aber Sie müssen von dort sein!«
    Vatanen begann, seine Geschichte zu erzählen: Der Hase stamme ursprünglich aus dem Süden, aus der Gegend um Heinola. Er sei mit dem Tier durch Finnland gezogen, sei in Nilsiä, Ranua, Posio, Rovaniemi, Sodan­ kylä, Sompio und wieder in Rovaniemi gewesen, und nun sei er hier. Der Professor hatte sein Auto am Rande der dichtbefahrenen Mannerheimstraße angehalten und lauschte ungläubig. Hin und wieder sagte er: »Das kann doch nicht wahr sein.«
    Als Vatanen seinen Bericht beendet hatte, sagte der Professor mit Nachdruck: »Guter Mann, ich glaube Ihnen nicht ein einziges Wort. Aber die Geschichte ist gut, das muß man zugeben. Mich wundert nur, daß Sie so etwas erzählen müssen. Und nun kehren Sie zu Ihrer Forschungsstation zurück, ich rufe morgen früh dort an.«
    »Na gut, rufen Sie an, wenn Sie mir nicht glauben. Kann mir schließlich egal sein.«
    An der Ecke vom Warenhaus Sokos stemmte ein mü­ des Rentier die Hufe in den Boden. Ein abgewrackter Weihnachtsmann trat es in die Beine. Das Ren hielt die Augen geschlossen, vermutlich vor Schmerzen. Um das Tier herum tobten kreischende Kinder, und erschöpfte Mütter riefen: »Jari, Jari, nicht raufklettern, komm her, Jari, hörst du!«
    Vatanen empfand unendliche Übelkeit und bat den Professor, schnell weiterzufahren.
    Als sie den Bahnhof erreichten, sagte der Professor: »Also, ich muß Ihnen das Tier wegnehmen. Das kann es doch nicht geben. Welcher Verrückte von Evo hat Sie mit einem Hasen zu uns geschickt? Sie fahren besser allein zurück, ich nehme das Tier über Nacht bei mir auf und lasse es morgen früh von einem Mann ins Institut bringen.«
    Vatanen beteuerte, er sei wirklich nicht vom Wildfor­ schungsinstitut.
    »Glauben Sie mir, das ist kein Spaß!« sagte der Pro­ fessor und versuchte, Vatanen den Hasen zu entreißen. Das Auto, das am City-Center angehalten hatte, behin­ derte den Verkehr.
    Vatanen hielt seinen Hasen fest. Die Situation erin­ nerte ihn an die alte Geschichte vom Kreidekreis: Zwei Frauen ziehen an den Armen eines Kindes, und die, welche am stärksten zieht, bekommt es, und die, welche losläßt, ist die rechte Mutter. Vatanen ließ los, sagte jedoch: »Ich mache Ihnen einen Vorschlag: Wir rufen den Tierarzt von Sodankylä an, vielleicht glauben Sie mir dann. Ich bezahle das Gespräch.«
    Der Professor überlegte einen Augenblick. »Also gut. Ich wohne in Kruununhaka, wir können von dort aus anrufen. Aber ich glaube Ihnen trotzdem nicht. Sie werden schon noch sehen, daß man mit diesem Hasen keine Scherze treiben darf. Ich liebe Tiere, guter Mann, die kann man nicht einfach jedem anvertrauen.«
    »Und Sie machen Tierversuche.«
    »Das ist Wissenschaft. Außerdem geht es Sie nichts an, das ist mein Job.«
    Sie telefonierten. Der Tierarzt von Sodankylä bestätig­ te Vatanens Bericht von der morgendlichen Untersu­ chung im Hotel. Er wunderte sich nur, daß Vatanen bereits in Helsinki angekommen war.
    Der Professor legte langsam den Hörer auf und sah Vatanen seltsam an. Der erkundigte sich nach den Telefongebühren, doch der Professor hörte gar nicht zu, sondern sagte: »Ich möchte Ihre Geschichte noch einmal von vorn hören. Ich mache uns Brote zurecht. Sie haben es doch sicher nicht eilig?«
    »Durchaus nicht.«
    19. KAPITEL
    Katzenjammer
    Vatanen fand sich in einen Teppich gerollt auf dem Fußboden wieder. In seinem Magen gurgelte eine bittere Flüssigkeit, drang ihm in Kehle und Mund, und er ver­ spürte Brechreiz. Die Augen wagte er nicht zu öffnen. Laute hörte er keine, doch gerade als er sich dies be­ wußt machte, hörte er doch etwas: Rauschen, Klopfen, Pfeifen; wieder stieg ihm gelbe Galle in den Mund.
    Vatanen blieb still liegen; er wußte, wenn er sich jetzt bewegte, müßte er sich erbrechen. Er schluckte den Schleim hinunter. Er wagte nicht einmal, nach seiner Stirn zu tasten, aber auch so war ihm klar, daß dort Schweißperlen standen.
    Vermutlich verbreitete er einen fürchterlichen Ge-stank. Als er vorsichtig seine dicke Zunge im Mund bewegte, stieß sie an den klebrigen, belegten Gaumen.
    Das Herz? Es schien zu funktionieren, wenn auch auf ziemlich eigenwillige Weise. Es schlug träge, als wäre es ein schläfriger Wächter, dann rappelte es sich auf, machte ein paar

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