Das Jahr des Hasen
Blicken die Speisekarte und wagte nicht, an Essen zu denken. Das Mädchen bestellte für ihn ein gutgekühltes Bier, für sich selbst ein Glas Saft. Er trank in vorsichtigen Schlucken. Das Getränk roch widerwärtig, wirkte jedoch belebend. Der erste Tropfen verursachte im Magen Verwirrung, alles Weitere blieb abzuwarten.
Das Mädchen beobachtete Vatanens stummen Kampf. Dann war die Macht des Katers gebrochen, das Bier
hatte seine wohltuende Wirkung getan. Vatanen war imstande zu essen, er wurde ein neuer Mann, ein neuer Vatanen.
Er begann, sich an einiges zu erinnern, wußte zumin dest soviel, daß er den Hasen in der Wohnung des Pro fessors zurückgelassen hatte und zu einer Sauftour aufgebrochen war, nach halbjähriger Abstinenz. Er hatte dann wohl auch tüchtig gezecht, viel und fröhlich. Am Beginn der Kneipentour blieb sein Erinnerungsvermögen stehen, und was später geschehen war, erfuhr er erst, als das Mädchen es ihm in groben Zügen erzählte.
Ihre Erzählung war so lang und verschlungen wie die Tour, die Vatanen hinter sich gebracht hatte. Acht Tage und acht Nächte hatte sie gedauert und ihn über ver schiedene Ortschaften quer durch das südliche Finn-land geführt. Vatanen hatte viel, sehr viel vollbracht.
Vorsichtig unterbrach er sie mit der Frage, in welcher Stadt sie jetzt seien.
»In Turku«, sagte das Mädchen.
»Ich hab mich schon gewundert«, bemerkte Vatanen, »mir kam alles so bekannt vor, als wir über die Brücke gingen… Ich bin ja oft hiergewesen. Die Sonne hat nur so geblendet.«
Während das Mädchen erzählte, konnte Vatanen sei nen Weg Stück für Stück nachvollziehen. Begonnen hatte es damit, daß er in Helsinki getrunken hatte, wohl zwei Tage lang, er war in eine Schlägerei geraten, die Bahnhofspolizei hatte ihn festgenommen, jedoch gleich wieder freigelassen. Dann hatte er dieses Mädchen getroffen und war mit ihr nach Kerava gefahren, dort war dies und jenes passiert. Er war auch unter einen Zug geraten, der ihn im Schrittempo zwanzig Meter auf den Schienen vor sich her geschoben hatte, aber Vata nen hatte nur blaue Flecken davongetragen.
In Kerava hatte Vatanen ein Fahrrad gekauft und war damit wutentbrannt – irgend jemand hatte ihn im Suff beleidigt – in Richtung Riihimäki gefahren, und das Mädchen war ihm im Taxi gefolgt. Bis ans Ziel hatte Vatanen nicht radeln können, denn die Verkehrspolizei hatte sich ins Geschehen eingemischt. Sie hatten die Fahrt im Taxi, mit dem Fahrrad im Kofferraum, fortge setzt. In Riihimäki hatte Vatanen das Fahrrad zu einem Spottpreis verkauft und sämtliches Geld für Lose ausge geben. Er hatte eine Stereoanlage und eine lederne Aktentasche sowie ein Schreibetui gewonnen, außerdem Manschettenknöpfe, einen Satz Füllfederhalter und drei ledergebundene Notizbücher. Diese Gewinne hatte er wieder zu Geld gemacht, weil ihm der Einfall kam, mit dem Linienbus nach Turenki zu fahren, was auch ge schehen war.
In Turenki hatten sie beide in einem Landhaus über nachtet. Vatanens Auftritt an diesem Ort hatte drei Tage gedauert, bis kurz vor Heiligabend, und die ganze Zeit war die Zecherei weitergegangen, locker und fröhlich, nach Meinung des Mädchens war dies allerdings phy sisch und psychisch recht anstrengend gewesen.
Von Turenki aus waren sie nach Janakkala gefahren, um das Weihnachtsfest bei den Eltern des Mädchens zu verbringen. Vatanen hatte für jeden ihrer Verwandten ein anständiges Geschenk gekauft, für die Mutter ein Barometer, für den Vater einen Satz Pfeifen, für die große Schwester einen Reiserucksack und für die kleine ein Xylophon. Am Heiligen Abend hatte Vatanen seinen ganzen Charme offenbart, die Familie war seinem Ge plauder interessiert gefolgt, der Vater hatte seinen be sten Kognak aus dem Schrank geholt, und sie hatten ihn ausgetrunken. In der Nacht hatte Vatanen Reden gehalten und Leilas Mutter zwischen die Brüste geküßt, aber niemand war böse geworden.
In der Weihnachtsnacht war er überraschend aufge brochen, angeblich mußte er ins Krankenhaus, doch statt dessen waren sie beide mit dem Taxi nach Tammi saari gefahren, wo Vatanen im Meer schwimmen wollte, es dann aber doch nicht tat. Den Rest der Nacht hatten sie im Taxi verbracht, was sehr teuer geworden war.
Dann waren sie noch in Salo und Hanko gewesen, wo nichts Besonderes vorgefallen war. Und jetzt waren sie in Turku. Vatanen war in der Nacht in die Stadt ge kommen, hatte der Reihe nach sämtliche Zahnärzte
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