Das Jahr, in dem ich 13 1/2 war - Roman
Morgen hin und meine Mutter bleibt da.
Später erzählt sie, dass Maria ganz neugierig nach den anderen Zwergen geguckt hat. Als sie dann in ihrer Lieblingsposition auf dem Bauch am Boden lag, ist sie zu den anderen Kindern gerobbt und hat Freundschaften geschlossen. Offensichtlich fällt ihr das leichter als mir. Mittags sind sie dann wieder nach Hause gegangen. So geht das jetzt ein paar Wochen, bis sie sich eingewöhnt hat.
Die Schule hat wieder angefangen, und alle haben rumgepranzt, was sie für tolle Sachen zu Weihnachten gekriegt haben. Ich habe auch meine neuen Jeans angezogen und die neuen Ohrringe reingemacht.
Das Buch über Bach habe ich zurückgegeben. Wir müssen jetzt in Deutsch »Die letzten Kinder von Schewenborn« lesen. Grausig. Das ist eine Geschichte vom Atomkrieg. Unser Lehrer hat es ganz ernst gemacht. Die erste Stunde ging es um Krieg und wo auf der Welt gerade überall Krieg ist. Das hab ich nicht gewusst, wie viele Kriege in diesem Augenblick geführt werden. Auch nicht, dass es heute noch so viele Atombomben gibt.
Zu Hause habe ich Carsten gefragt, ob er das Buch kennt, und er meinte, das sei wirklich gut. Ich dachte, dass ich jetzt einen Abend die »Nachtigall« lese und den anderen die »Kinder«. Das hat nicht geklappt. Ich habe die Nachtigall erst mal weggelegt. Beide Bücher zusammen schaffe ich nicht. Ich bin vielleicht wirklich noch zu dumm für die Nachtigall, muss ich zugeben. Allerdings packt mich immer wieder die Neugier, wie die Sache mit dem Haus und dem Vater ausgeht. Wenn ich die Kinder zu Ende habe, nehme ich die Nachtigall wieder her. Das mache ich. Es ist nämlich auch ein cooles Gefühl, wenn sich so langsam die Geschichte entschlüsselt und man dahinterkommt, wie alles zusammenhängt.
Ansonsten ist es in der Schule wie immer. Nur dass wir jeden Tag Arbeiten und Tests schreiben wegen der Zensuren. Und ich mache Fehler! Ich verhaue Mathe, Physik und Englisch. Die Lehrer setzen eine ernste Miene auf, wenn sie mit mir sprechen. Ich muss aufpassen, dass ich nicht klebenbleibe, sagen sie.
Das ganze Lehrergerede hat sowieso keinen Zweck. Wozu soll das gut sein? Was nützt es mir, wenn ich es ganz knapp schaffen sollte? Es geht mir dann trotzdem beschissen in dieser Schule. Ich bin hier wahrscheinlich wirklich fehl am Platz. Mir geht der Ernst ab, mit dem das hier alles betrieben wird. Klar bin ich auch traurig. Ich habe Angst. Vor allem, wenn ich sehe, was Babette für Zensuren einsteckt oder Ulli.
Ulli geht auch mit mir in die Klasse und ist richtig gut. Und sehr nett, finde ich. Neulich hat sie nach Sport auf mich gewartet und mich doch glatt gefragt, ob sie mit mir üben soll. So in Mathe vielleicht. Sie könne das und würde mir gern helfen. Ich sah sie an und sagte: »Ich weiß nicht. Oder doch?«
Ein paar Tage später war ich dann bei ihr zu Hause. Sie haben ein Haus, eine richtige Villa. Die Mutter war da und hat uns Kuchen und Cola gebracht. Sie sah lustig aus: Haare zwischen blond und grau, die in alle Richtungen in großen Locken herumflogen. Außerdem hatte sie einen knallbunten Pullover an und trug Gummistiefel über den Jeans. Wahrscheinlich hatte sie was im Garten gemacht. Sie lächelte freundlich, und hinter ihr kam ein Hund zum Vorschein, der dieselbe Frisur hat wie sie. »Wenn ihr fertig seid mit Lernen, könnt ihr Leo mal mit rausnehmen«, stellte sie mehr fest, als dass sie uns fragte.
»Was ist deine Mutter von Beruf?«, fragte ich Ulli, als wir dann in ihrem Zimmer saßen.
»Sie macht Kunst. Sie bastelt mit Holz, wie mein Vater sagt. Irgendwas dazwischen. Lustige Sachen und traurige Sachen. Meistens was von Katzen oder Hunden. Manchmal sehen die Dinger aus wie Leo.« Sie lachte, als sie das sagte. »Du kannst dir nachher ihre Werkstatt ansehen. In der alten Garage hinterm Haus hat sie sich eingerichtet. Dort sieht es aus wie im Unterholz im Auenwald.« Ulli lachte wieder. Dann quatschten wir über die Schule und die Lehrer.
Und dann haben wir gelernt, war gar nicht so schwer. Ich bin Ulli wirklich dankbar. Sie kann das alles gut erklären, und wenn sie es dann noch mal erzählt, leuchten mir die Formeln auch ein. Allerdings weiß ich nicht, wie lange dieses Wissen in meinem Kopf seine Leuchtkraft behält.
Als es schon dämmrig wurde, sind wir mit Leo in den Wald gegangen. Er ist wie ein Blöder hinter den Stöcken hergerannt, die wir geschmissen haben. Der Auenwald hat im Winter kein einziges Blatt. Meine Mutter jammert immer darüber und sagt,
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