Das Jahr, in dem ich 13 1/2 war - Roman
Manu steht. Ziemlich nah, wie ich finde. Der gefällt mir überhaupt nicht. Ein Oberschleimer, sagt Mella. Sie kennt ihn auch. Als er jetzt so hinter Manu steht, lehnt die sich ein bisschen zurück. Deine Milchzähne werden faul, sagt meine liebe Schwester, wenn mir der Mund offen stehen bleibt, so wie jetzt. Sehe ich richtig oder spinne ich?
»Danke«, sag ich, dreh mich um und lege einen Sprint zur Garderobe hin, bei dem Grit Bräuer blass geworden wäre.
Zu Hause sitze ich auf dem alten Sessel und starre in den dunklen Himmel. Was ist denn jetzt los? Sehe ich Gespenster? Manu ist neunte Klasse, die hat doch nichts mit einem Lehrer.
Klar, verlieben tun sich alle mal in einen. Ich hatte zwei Wochen lang Herzkammerflimmern, weil Referendar Sperling seine Galaxie verlassen hatte und im Mief unserer Schule gelandet war, um in meiner Klasse in Geografie was über die Bewegung der Erdschollen zu erzählen. Zwei Wochen lang konnte ich mich nicht melden, ich hatte auf beiden Seiten Schulterkrämpfe! Danach war ich wieder geheilt. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass ich den auch nur angesprochen hätte. Aber Graf und Manu! Ich bin doch nicht blind. Sicher bin ich mir allerdings auch nicht. Vielleicht habe ich mich doch getäuscht. Ich muss beim nächsten Training genauer hinsehen. Wer weiß, vielleicht spinne ich und mache mir völlig umsonst Gedanken?
Es dauert noch zwei Trainingsstunden, bis ich hundertprozentig sicher bin. Die schöne Manu hat offensichtlich was mit dem Oberschleimer Graf. Nachdem ich einmal was ahne, ist es ganz klar zu erkennen. Und es ekelt mich auf der Stelle.
Aber was soll ich jetzt mit dieser Entdeckung machen? Soll ich es meiner Mutter erzählen oder Mella oder Cars ten oder Ulli? Nein, nein, nein. Ich bin ratlos. Das ist mir echt eine Nummer zu groß. Wer bin ich denn?
Das ist ein Winter! Es wird Zeit, dass die Februarferien losgehen! Noch eine Woche, dann gibt’s Zeugnisse. Und dann ist höchstwahrscheinlich klar, dass ich hängenbleibe. Dann brauche ich mir wenigstens im zweiten Halbjahr keinen Stress mehr zu machen. Ist ja dann alles klar, oder? Aber erst mal sind zwei Wochen frei! Ferien! Eine Woche fahren Carsten, Mami, Maria und ich zu Carstens Eltern. Sie haben ein kleines Haus in der Sächsischen Schweiz, das ist ein winziges Gebirge bei Dresden. Ich war noch nie dort und bin ziemlich gespannt. Allerdings kenne ich Bilder von der Gegend und die sehen schön aus. Außerdem habe ich diesen Wanderschuhgutschein und möchte wissen, was damit passiert, wenn ich dort bin. Ich soll ihn auf jeden Fall mitbringen, hat Opa mehrmals am Telefon gesagt. Ich habe ihn schon bereitgelegt, neben die Nachtigall von Harper Lee. Ich darf beides nicht vergessen!
Als es endlich Zeugnisse gibt, habe ich wirklich zwei Sechsen. Eine in Englisch und eine in Physik. Da hat alles Lernen nichts genützt. Ullis Stolz, den sie bei meinen beiden letzten Vieren und Fünfen in Mathe gezeigt hat, fällt lautlos in sich zusammen. Sie ist richtig traurig.
»Im nächsten Halbjahr helfe ich dir noch mehr«, sagt sie auf dem Heimweg.
Ich winke ab. »Du siehst doch, in Mathe hast du mich gerettet. Aber du kannst mir doch nicht in allen Fächern helfen. Das ist völlig zwecklos. Aber mach dir jetzt mal nichts draus! Vergiss es einfach!«
Ich will nicht gemein sein, aber realistisch. Was soll sie sich noch rumärgern? Sie fährt jetzt in die Alpen zum Skifahren. Das würde ich auch gern. Kann sein, dass es in der achten Klasse ein Skilager gibt. Aber wer weiß, ob ich es bis dahin schaffe? Darüber denke ich lieber nicht weiter nach, sonst werde ich noch melancholisch. Das will ich vermeiden, schließlich sind jetzt Ferien. Endlich. Hurra!
Zu Hause ist großes Packen angesagt. Wenn man mit einem Baby verreist, muss man allerhand Zeug mitnehmen. Wir schleppen sogar ein Babybettchen mit. Ist ja klar, dass die Großeltern so was nicht in ihrem Haushalt haben. Maria ist schließlich ihr erstes Enkelkind. Na ja, jetzt haben sie gleich noch zwei dazu.
Wir fahren am nächsten Morgen los. Mella winkt. Sie bleibt allein zu Hause. Seit ihrem Ausbruch zu Silvester ist das fast selbstverständlich. Ich sehe meine Mutter an. Sie winkt lange.
»Ob das gutgeht?«, fragt sie besorgt.
»Klar«, antwortet Carsten.
»Ich weiß nicht«, murmelt meine Mutter.
»Ist ja gut. Lass sie und uns in Frieden. In einer Woche sind wir wieder da.«
Und dann kurven wir durch die Stadt bis zur Autobahn.
10
Ich hatte gedacht , jetzt kommt
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